Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
schauen. Verständlich. » Ich erinnere mich. Sie waren vorhin auch am Rathaus.«
Er ist befriedigt. Er wusste doch, dass sie sich erinnern würde. » Stimmt. Das bin ich.«
Kirsty fühlt sich zunehmend schutzlos. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass man einem derart von sich selbst eingenommenen Wichtigtuer gegenübersteht, noch dazu einem, der einen offensichtlich verfolgt. » Mhm«, macht sie und unternimmt einen erneuten Rückzugsversuch. In der vergeblichen Hoffnung, irgendwer habe ihre Zwangslage bemerkt, wirft sie wieder einen Blick über die Schulter. Doch sie und ihr unerwünschter Begleiter gehen in der Menge unter und heben sich nicht sonderlich von ihr ab. Die Rausschmeißer befinden sich auf der anderen Seite der Tanzfläche und beobachten von dort mit verschränkten Armen ein paar Jungen, die miteinander im Clinch liegen. Das Personal an der Bar schwitzt und wendet nie den Blick von den Zapfhähnen, außer um sich das Gesicht ihres aktuellen Kunden einzuprägen, für den Fall, dass er versuchen sollte, sich ohne Bezahlung aus dem Staub zu machen.
Sie dreht sich wieder zu ihm um. Er hat die Augen von Simon Cowell und den Mund eines Bibers. » O-kay«, sagt sie. » Schön, Sie wiederzusehen.«
» Darf ich Ihnen ein Getränk ausgeben? Wir haben so viel zu besprechen«, bittet er und unterstreicht die Frage mit einer jener ausholenden Gesten, die man aus Seifenopern kennt. Angesichts der Menschenfülle erweist sich das als Fehler, denn die Reste seines eigenen blassbraunen Getränks ergießen sich über den nackten Rücken einer jungen Frau, die einen schrillen Protestschrei ausstößt. Er wirft ihr einen amüsierten Blick zu. Dann wendet er sich wieder Kirsty zu und schiebt sein Gesicht ganz nah an das ihre heran– ohne darauf zu achten, dass sie zurückweicht. » Blöde Schlampe«, sagt er.
Einen Moment lang glaubt sie, er meine sie, dann wird ihr klar, dass er ihre Zustimmung erwartet. Offenbar ist ihm der Unterschied zwischen Zeitungskommentar und Realität nicht klar. Sie nimmt sich zusammen und lächelt ihn an. » Nein, danke, das ist wirklich sehr nett von Ihnen«, erklärt sie. » Ich trinke heute Abend nichts. Und in einer Minute bin ich ohnehin weg. Abgabetermin, wissen Sie.«
» Oh.« Er wirkt beleidigt. Kirsty stellt ihr Lächeln auf Strahlen um. » Trotzdem danke. Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen.«
Das läuft gut. Erneut versucht sie zurückzuweichen, prallt jedoch gegen eine kompakte Mauer aus Körpern. Er runzelt verwirrt die Stirn. » Aber wir wollten uns doch unterhalten«, meint er.
Sie ist überrascht. » Tatsächlich?«
» Ich wollte Sie herumführen.« Er ist offensichtlich davon überzeugt, dass sie wissen sollte, worüber er spricht, und dass er es ihr nur ins Gedächtnis rufen muss.
» Oh«, sagt sie und versucht zu klingen, als kenne sie seine Gedankengänge, um sich eine überzeugende Lüge auszudenken. » Ich weiß, es ist nur… Ich muss einen Abgabetermin einhalten. Vielleicht ein andermal? Ich gebe Ihnen die Nummer von meinem Büro…« Wo ich nie bin, fügt sie im Stillen hinzu. Weil ich von zu Hause aus arbeite.
Er weiß, dass er abgewimmelt wird. » Nein«, sagt er. » Jetzt. Ich warte schon den ganzen Tag darauf, mit Ihnen zu reden.«
Scheiße. Also ist er mir tatsächlich gefolgt. Er hat mich doch wohl nicht mit Bel gesehen, oder? Ausgeschlossen, dass er uns miteinander in Verbindung bringt. Oder vielleicht doch?
» Sie können nicht nach London zurück. Noch nicht.«
» Farnham«, korrigiert sie ihn. » Nicht alle Journalisten leben in London. Und auch nicht alle in schicken Penthäusern in den Docklands.«
» Dann eben Farnham, egal«, erwidert er, und sein Ton verändert sich. » Ich dachte, Sie wären anders.«
» Ich…«, beginnt Kirsty.
» Sie sind alle gleich. Ihnen ist doch völlig schnuppe, was wir Normalbürger denken, oder?«
» Es ist nur ein Job«, meint sie. » Ein Broterwerb.«
» Sie halten sich wohl für berühmt, weil Sie in der Zeitung stehen«, sagt er.
» Nein«, stellt sie richtig. » Ich mache andere berühmt, indem ich sie in die Zeitung bringe.«
Sie weiß, dass sie einen schrecklichen Fehler begangen hat, als sein Kopf beleidigt zurückzuckt. Meine Güte, Kirsty, du solltest mittlerweile wissen, dass man es sich mit Freiern nicht verscherzen sollte, ohne ein paar Kollegen zur Verstärkung in der Nähe zu haben. Schau ihn dir an. Der ist nicht mehr ganz dicht. Ein grusliger, kleiner Übergeschnappter, den man nicht so
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