Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
zögert nicht. Sie nimmt auf der Stelle Platz, und legt ihr Klemmbrett mit dem Gesicht nach unten auf den Tisch. Dort ist Jackies Entlassungsformular befestigt, aber sie will nicht, dass sie es jetzt schon sieht.
» In Ordnung«, sagt sie. » Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten.«
Jackie verkrampft sich. » Was?«
Blessed rückt auf ihrem Stuhl vor.
» Also…« Seit Stunden hat sie dies, in ihrem Büro verbarrikadiert, vor dem Spiegel geübt, damit sich nur ja kein verräterischer Ausdruck auf ihr Gesicht stiehlt. » Vor ein paar Tagen hatte ich eine Unterredung mit Suzanne Oddie.«
Misstrauisch sieht Jackie sie an.
» Ich werde Klartext reden. Die Geschäftsführung macht sich Gedanken um die Kosten.«
» Oh, richtig«, sagt Jackie. Sie bekommt rote Flecken am Hals. Sie weiß, worauf das Gespräch hinausläuft.
» Wir befinden uns in einer Rezession, wisst ihr«, erklärt Amber. Sie hebt die Stimme, damit man sie auch jenseits ihrer trauten Runde hören kann. » Wie auch immer, es hat keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden. Ich fürchte, sie will, dass ich Einsparungen vornehme, und zwar beachtliche. Ich bin die Bücher immer wieder durchgegangen, aber es gibt keine andere Möglichkeit.«
Jackie schweigt. Blessed verändert ihre Sitzposition. Mit Behagen registriert Amber, dass an den umstehenden Tischen jedes Gespräch verstummt ist und alle zuhören. Einige von ihnen werden jetzt natürlich um ihren Arbeitsplatz bangen. Na schön, scheißegal. Sind ja schließlich keine Freunde. Jetzt weiß ich das.
Sie fährt fort und hält sich dabei an das Kommunikationskonzept, das sie sich aus dem Internet zusammengekratzt hat. » Ich habe deshalb keine andere Wahl, als Kürzungen bei der Belegschaft vorzunehmen.« Sie wartet ein paar Sekunden, bis sich die Worte gesetzt haben. Wartet auf das Schlucken und das Zusammenpressen der Lippen. Sie dreht das Klemmbrett um und schaut darauf.
» Jaqueline«, sagt sie und genießt, wie ihr der Name über die Zunge rollt, » ich fürchte, dass ich dich entlassen muss.«
» Was?«, fragt Jackie.
Amber sieht auf und lächelt– mit einem Ausdruck, den nur Jackie richtig deuten kann. » Tut mir leid. Ich habe jede Möglichkeit erwogen, kann aber keine andere Lösung finden.«
» Wieso ich?«, will Jackie wissen. Die Röte hat sich jetzt auch auf ihr Gesicht ausgeweitet.
Amber lächelt unbewegt weiter. Streckt den Arm aus und tätschelt die Hand, die mit dem alten schwarzen Nokia auf dem Tisch herumspielt. Jackie zieht sie zurück, als hätte Amber die Pest.
» Tut mir leid«, sagt Amber. Inzwischen wissen alle im Raum, dass sich hier gerade ein Drama abspielt. Allgemeines Schweigen, alle halten den Atem an. » Es ist nichts Persönliches. Ich habe hier dein Entlassungsformular, und du kriegst deinen vollen Wochenlohn.«
» Das kannst du nicht machen«, sagt Jackie.
Amber tut so, als hätte sie das missverstanden. » Nun, natürlich müssen wir dich nicht ausbezahlen, wenn dir das lieber ist. Schließlich bist du ja nur Gelegenheitsangestellte. Damit hast du eigentlich Anspruch auf gar nichts. Aber ich wollte nicht, dass du ganz leer ausgehst.«
Sogar die dicke Schicht falscher Bräune kann nicht verbergen, dass Jackie totenbleich geworden ist. Sie beginnt zu zittern. » Wieso ich?«, fragt sie noch einmal.
» Soll ich das wirklich hier in aller Öffentlichkeit beantworten?«, fragt Amber. » Vor all den Leuten?«
» Ja«, erwidert Jackie. » Ja, das will ich.«
Amber zuckt die Achseln. » Also schön. Wie du willst. Ich habe dich ausgewählt, weil du diejenige bist, die sich am wenigsten ins Zeug legt. Ich habe mir sämtliche Aufgabenbereiche genau angesehen, und dein Anteil ist in den Stunden, für die du bezahlt wirst, am geringsten. Du bist die Erste, Jackie, aber ich fürchte, du wirst nicht die Einzige sein.«
Ein Raunen geht durch den Raum. Ganz recht, denkt Amber. Ich wette, in den nächsten Wochen werdet ihr nicht mehr so lange mit euren gebutterten Scones herumtrödeln.
» Ich dachte, wir wären Freundinnen«, meint Jackie.
Sie wäre beinahe eingeknickt. Hätte fast geantwortet, was ihr auf der Zunge liegt: Schöne Freundin, Jackie Jacobs. Stattdessen kneift sie die Augen zusammen, beschwört den Geist von Suzanne Oddie herauf und erklärt: » Tut mir leid. Im Beruf darf man sich nicht von persönlichen Gefühlen leiten lassen.«
Sie löst das Entlassungsformular und den Umschlag mit dem Geld vom Klemmbrett und schiebt beides über den
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