Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
großen Kreuzung gelaufen, hatte vergessen, die Tür hinter sich zuzuschließen, und Tripod hatte sich einfach von der Wäscheleine losgerissen.
Aber Alafair vergaß nie, den Laden abzuschließen, und sie ließ Tripod nicht im Regen an der Wäscheleine.
Wenige Augenblicke nachdem ich den Laden betreten hatte, wurden all die Vorstellungen und Ängste, die ich so gut wie möglich verdrängt hatte, mit einem Mal Wirklichkeit, eine Wirklichkeit, aus der es kein Entrinnen gab, so wie man von einem Alptraum erwacht, wenn es Tag wird, und mit einem Stich im Herzen realisiert, daß der Alptraum Teil dieses neuen Tags ist und nicht ein Produkt des Schlafes. Hinter dem Ladentresen sah ich ihre Baseballkappe, flachgedrückt auf den Dielen, mit dem Abdruck eines dreckigen Schuhs oder Stiefels. Elrod und Rosie sahen mir wortlos zu, wie ich sie aufhob und oben auf den Tresen legte. Ich fühlte mich, als sei ich tief unter Wasser, jenseits des Punktes, wo der Druck unerträglich wird, und in meinem Kopf war etwas wie ein kleines Stöckchen zerbrochen und schwirrte jetzt lose umher. Durch die Fliegentür sah ich Bootsies Wagen in die Einfahrt biegen und beim Haus parken.
»Ich hätte wissen müssen, daß er so was tut«, sagte ich.
»Doucet?« fragte Rosie.
»Er ist Polizist gewesen. Er hat Angst vor dem Gefängnis.«
»Wir können nicht wissen, daß es tatsächlich Doucet ist, Dave«, sagte sie.
»Er weiß, was Cops im normalen Strafvollzug blüht. Erst recht, wenn sich rumspricht, daß es ein Pädophiler ist. Ich geh jetzt hoch und rede mit Bootsie. Geht nicht ans Telefon, okay?«
Rosies Zähne hinterließen weiße Druckspuren auf ihrer Unterlippe.
»Dave, sobald wir Beweise haben, daß es sich um ein Kidnapping handelt, werde ich das FBI einschalten«, sagte sie.
»Bis jetzt hat’s alles nichts genutzt, was wir auf dem Dienstweg gegen ihn unternommen haben. Es ist an der Zeit, daß wir uns das beide eingestehen, Rosie«, sagte ich, ging zur Tür hinaus und wollte hoch zum Haus.
Ich war erst wenige Meter weit gekommen, als ich hinter mir das Telefon klingeln hörte. Ich rannte durch den Regen zurück und riß den Hörer von der Gabel.
»Sie klingen ziemlich außer Atem«, sagte die Stimme.
Du darfst jetzt keine Scheiße bauen
.
»Lassen Sie sie gehen, Doucet. Es lohnt sich nicht für Sie«, sagte ich. Ich blickte zu Rosie und machte ein Zeichen in Richtung des Hauses.
»Ich werd’s uns beiden einfach machen. Sie holen das Werkmesser und das Foto aus dem Beweisschrank. Sie stecken beides in einen Plastikbeutel. Morgen früh um acht legen Sie den Beutel in den Mülleimer an der Ecke der Royal Street und der St. Ann Street in New Orleans. Ich schätze, Sie sollten sich schon mal drauf einstellen, daß Sie heute nacht nicht viel Schlaf bekommen.«
Rosie hatte leise die Fliegentür hinter sich geschlossen und ging rasch im schwächer werdenden Licht die Steigung zum Haus hoch.
»Das mit dem Foto war nur ein Bluff. Es ist völlig unscharf«, sagte ich. »Man kann Sie nicht identifizieren.«
»Um so leichter fällt’s Ihnen, sich davon zu trennen.«
»Sie haben nichts zu befürchten, Doucet. Wir haben nicht genug für eine Verurteilung.«
»Sie sind ein dreckiger Lügner. Sie haben meine Bude auseinandergenommen. Ihr Abschleppwagen hat Kratzer in den Lack meines Wagens gemacht. Sie geben nicht Ruhe, bis Sie mich irgendwie fertiggemacht haben.«
»Weil Ihr persönliches Eigentum beschädigt worden ist, haben Sie so reagiert?«
»Ich werd Ihnen mal sagen, wie ich noch reagieren werde, wenn Sie mir mit irgendwelchen Tricks kommen. Nein, das stimmt nicht ganz. Ich werd gar nichts tun, weil ich nämlich in meinem ganzen Leben noch keinem Kind was zuleide getan hab. Haben Sie das geschnallt?«
Er sagte erst mal nichts mehr und wartete auf meine Antwort. Dann sagte er noch einmal: »Haben Sie das geschnallt, Dave?«
»Ja«, sagte ich.
»Aber da gibt’s so einen Kerl, der in Balbonis Filmen mitgespielt hat, ein Typ, der elf Jahre in Parchman war, weil er ein kleines Niggermädchen umgebracht hat. Soll ich Ihnen mal erzählen, wie er das gemacht hat?«
Er erzählte es mir. Ich starrte zur Fliegentür hinaus auf die dunkelgrüne Wiese meines Nachbarn, auf seine gewaltigen Rosen, deren Blüten dem Regen nicht standgehalten hatten und jetzt wie einzelne rosa Tränen über das Gras verstreut waren. Ein Hund bellte auf, und dann hörte ich ihn kurz aufheulen, als hätte ihm jemand mit einer Kette auf die Rippen
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