Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
noch, was man diesem Burschen zur Last gelegt hat?«
»Es hat keine Anklage gegeben. So weit ist es nie gekommen.«
»Ich habe mich gefragt, warum er elf Stunden nach seiner Verhaftung immer noch in einer Arrestzelle war.«
»Die haben ihn aus dem Hafttrakt rausgeholt.«
»Nicht nach dem, was in der Zeitung steht.«
»Deswegen wischen sich viele Leute mit der Zeitung auch den Arsch.«
»Er ist mit einem Fleischermesser in das Haus einer weißen Frau eingedrungen, stimmt das?«
»Suchen Sie den Nigger doch, und fragen Sie ihn.«
»Das ist es ja, was mich etwas verwirrt. Niemand scheint zu wissen, was mit dem Burschen passiert ist. Und es scheint auch niemanden zu interessieren. Finden Sie, daß das Sinn macht?«
Er paffte an seiner Zigarette. Sie war feucht und fleckig, als er sie aus dem Mund nahm. Ich wartete darauf, daß er etwas sagte, aber er schwieg.
»Haben Sie diesen Ausbruch einfach auf sich beruhen lassen, Mr. Hebert?« fragte ich.
»Ich weiß nicht mehr, was da noch getan wurde.«
»Ist DeWitt Prejean ein Vergewaltiger gewesen?«
»Er konnte seinen Schwanz nicht in der Hose behalten, wenn Sie das meinen.«
»Meinen Sie, daß es ihr Ehemann gewesen ist, der ihn aus dem Gefängnis holte?«
»Unter Umständen.«
Ich blickte in sein Gesicht und wartete.
»Das heißt, wenn er gekonnt hätte«, sagte er. »Er war ein Krüppel. Kriegsverletzung.«
»Wär es möglich, daß ich mit ihm rede?«
Er drückte die Zigarette in einen Aschenbecher und wandte den Blick ins grelle Sonnenlicht am Rand seines Gartens. Auf der anderen Straßenseite gingen Schwarze in dem Popeye-Restaurant ein und aus.
»Da können Sie lange reden. Der liegt auf dem Friedhof, draußen bei den Gleisen im Ostteil der Stadt«, sagte er.
»Was ist mit der Frau?«
»Die ist weggezogen. Hoch in den Norden. Wieso interessieren Sie sich für Ärger mit ’nem Nigger, der fünfunddreißig Jahre her ist?«
»Ich glaube, daß ich gesehen habe, wie er getötet wurde. Wo ist der Mann, der in der Nacht des Ausbruchs Dienst hatte?«
»Der hat sich vom Zug überfahren lassen, als er betrunken war. Moment mal, was haben Sie da grad gesagt? Was haben Sie gesehen?«
»Manchmal gibt ein Fluß die Toten wieder preis, die in ihm verborgen waren, Mr. Hebert. Auch wenn es in diesem Fall eine Weile gedauert hat. Sie haben ihm die Schnürsenkel und den Gürtel abgenommen, stimmt’s?«
»Das macht man mit jedem Gefangenen.«
»Das macht man, wenn alle amtlichen Sachen geregelt sind und man sie in eine reguläre Zelle einweist. Was bei diesem Mann nicht der Fall war. Man hat ihn in einer Arrestzelle vorn im Gefängnis gelassen, damit zwei bewaffnete Männer ihn dort finden können. Sie haben ihm nicht mal die Möglichkeit gelassen, sich selbst das Leben zu nehmen.«
Er starrte mich an, das Gesicht wie eine weiße Torte mit Schlagseite.
»Ich glaube, daß einer der Männer, die Prejean umgebracht haben, versucht hat, auch mich umzubringen«, sagte ich. »Aber statt dessen hat er eine junge Frau ermordet. Eine Filmschauspielerin. Vielleicht haben Sie ja drüber gelesen.«
Er stand auf und warf seine Zigarette über das Verandageländer in einen vertrockneten Busch. Er roch nach Wick Vaporub, Nikotin und dem abgestandenen Schweiß alter Männer. Sein Atem rasselte, als ob seine Lungen zahllose kleine Löcher hätten.
»Scheren Sie sich von meiner Veranda runter«, sagte er und ging auf einen Stock gestützt mit schweren Schritten nach hinten in die Dunkelheit seines Hauses. Er knallte die Fliegentür hinter sich zu.
Bei einem anderen Popeye’s, auf der Pinhook Road in Lafayette, machte ich halt und aß Hühnchen und Reis, dann fuhr ich die Pinhook Road hinunter durch einen langen Eichenkorridor, den Sklaven dort gepflanzt hatten, weiter hinunter zur Vermilion Bridge und dem alten Highway 90, der über Broussard, eine kleine Stadt, die hauptsächlich vom Zucker lebte, nach New Iberia führte.
Kurz vor dem Fluß kam ich an einem viktorianischen Herrenhaus vorbei, das nach hinten versetzt in einem Pecanhain stand. Zwischen der Straße und der breiten Säulenterrasse war ein Trupp von Arbeitern dabei, einen Wasser- oder Abflußgraben auszuheben. Die frisch aufgehäufte schwarze Erde lag in einer geraden Linie, dahinter eine dekorative flache Kutsche aus dem neunzehnten Jahrhundert, die man mit Körben blühender Springkräuter vollgehängt hatte. Die Leiber und Arbeitskleider der Männer wirkten im Schatten der Blätter grau und verschwommen.
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