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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Wie töricht von ihm! Er hatte sich ihr gegenüber nicht wie ein Mann verhalten. Sein Vater und seine Brüder hätten jede Frau ausgelacht, die es gewagt hätte, sie zu hintergehen. Jeder andere Mann hätte sich das Frauenzimmer über die Schulter geworfen, sie aufs Schiff geschleppt, und hätte sie noch so sehr geschrien und um sich geschlagen. Ja, er war ein rechter Narr gewesen.
    Was war mit ihm nicht in Ordnung, daß sie ihn verschmähte? Noch nie hatte eine Frau ihn zurückgewiesen. Warum Zarabeth? Warum die Frau, die er heiraten wollte?
    Er drehte sich um, als er die Stimme seiner Schwester hörte. »Was willst du, Ingunn?«
    »Du grübelst. Ich mache mir Sorgen, Magnus. Wir alle machen uns Sorgen um dich, auch deine Männer. Du sprichst kaum, beschimpfst deine Männer mehr als sie es verdienen und prügelst deine Sklaven. Du nimmst nicht einmal Cyra in dein Bett wie früher.«
    »Pah! Als ich heimkehrte, habe ich sie ein ums andere Mal genommen. Solange, bis sie kaum mehr gehen konnte.«
    »Ja, aber dann hast du sie fortgeschickt. Sie fühlt sich zurückgesetzt. Als habe sie dich irgendwie enttäuscht.«
    Er hob die Schultern, ohne Ingunn anzusehen. Er starrte wieder hinaus auf den Fjord. Wieso in Thors Namen nahm Ingunn Anteil an den Gefühlen seiner Sklavin Cyra?
    »Es ist eine Frau, nicht wahr? Du hast auf deiner Reise eine Frau kennengelernt. Und sie will dir nicht aus dem Sinn.«
    Er lachte. »Ich bin doch kein Knochen, an dem die Hunde unseres Vaters nagen.«
    Er spürte ihre Finger am Ärmel seiner Tunika. »Nein, Bruder. Scherze nicht, denn auch unser Vater fragt sich besorgt, was mit dir nicht in Ordnung ist. Er sagte, du beteiligst dich nicht an den Trinkgelagen der Männer und nicht an den Gesängen in der Halle. Er sagt, du läßt den Kopf hängen und brütest stumpfsinnig vor dich hin wie ein liebeskranker Jüngling. Doch er sagt auch, in dir brodle ein wilder Zorn, der keinen Auslaß findet.«
    Wieder hob Magnus die Schultern. Alles, was sie sagte, stimmte, doch es war seine Angelegenheit, und er wollte sie für sich behalten. Er war froh, daß die Männer, die über Zarabeth Bescheid wußten, ihren Mund gehalten hatten. Es ging keinen was an, nicht seinen Vater, nicht seine Brüder, und schon gar nicht Ingunn.
    Plötzlich breitete sich ein grimmiges Lächeln auf seinen Zügen aus. Er wandte sich mit plötzlicher Entschiedenheit um und spürte, wie ein großer Felsbrocken von seiner Brust polterte. »Ich steche morgen früh in See. Bereite genügend Essen vor für zwölf Männer für eine Reise von dreißig Tagen. Ich werde in Birka Geschäfte tätigen. Vorwärts Ingunn, beeile dich.«
    Sie scheute sich, ihm zu gehorchen, aber es blieb ihr keine andere Wahl. Sie glaubte ihm kein Wort. Birka war nicht sein Ziel. Ohne ein weiteres Wort kehrte sie ihm den Rücken, um seine Befehle auszuführen. Sie drehte sich noch einmal nach ihm um. Er stand an derselben Stelle und starrte über den Fjord.
    Was mochte er wohl sehen?

9
    Olav war tot. Er war am frühen Morgen bei Einbruch der Dämmerung gestorben, sich jammervoll wimmernd, die Hände um den Leib gekrallt. Zarabeth hatte die Nacht bei ihm gewacht, hilflos und ängstlich, wollte ihn nicht alleine lassen, obgleich sie nichts für ihn tun konnte. Er war nicht mehr in der Lage aufzustehen, um sich zu erleichtern. Gegen Ende erkannte er sie nicht mehr. Er fantasierte von ihrer Mutter, wie sehr er sie geliebt, und wie furchtbar sie ihn betrogen habe. Zarabeth hatte ihm bis zum Schluß die Hand gehalten.
    Sie konnte es nicht begreifen. Er war den ganzen Abend wohlauf gewesen, hatte pfeifend seine Waren sortiert, die er am Tage erstanden hatte.
    Und jetzt — kaum zwölf Stunden später — war er tot.
    Zarabeth erhielt Unterstützung von Imara und Lannia, zwei älteren Frauen, die den Tod häufig gesehen und manchen Leichnam zum Begräbnis aufgebahrt hatten. Gemeinsam wuschen sie den Leichnam und kleideten ihn an. Sie war wie betäubt, verrichtete einfache Aufgaben, die Lannia ihr auftrug. Irgendwann betrat Toki den Wohnbereich, rümpfte die Nase und sagte angeekelt: »Bei Thor, wie das hier stinkt! Wie kannst du das bloß aushalten, Zarabeth?«
    Imara wandte sich mit vorwurfsvollem Blick an Toki. »Hüte dein Lästermaul. Dies ist ein Ort des Todes, und so wird es bleiben bis zum morgigen Tag.«
    Zarabeth wandte sich nun an Toki. Sie war hundemüde und hatte nur einen Wunsch: ins Bett neben Lotti zu kriechen und so lange zu schlafen, bis dieser Alptraum

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