Im Schatten der Mitternachtssonne
Nacken und wieherte wie ein Pferd. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, auch wenn es nicht viel nützte. Sie war verdreckt und stinkend.
Es war beinahe Mittag, als der alte Arnulf sie holte, um sie zum König zu bringen. Zarabeth bat erneut, sich waschen zu dürfen.
»Es gibt keinen Platz, wo du dich waschen oder dein Kleid wechseln kannst. Keith und Toki sind in Olavs Haus gezogen. Komm jetzt. Wir dürfen den König nicht warten lassen«, sagte der Alte kopfschüttelnd.
König Guthrums Festung thronte hoch auf einem Hügel über dem Hafen von York, umgeben von Steinmauern, die aus dem Steinbruch von Helleby herbeigeschafft worden waren. Die weißen Quader glänzten in der Sommersonne. Sie hatte die Burg einmal in Begleitung von Olav besucht, als er dem König einen prachtvollen Otterpelz zum Geschenk machte. In ehrführchtigem Staunen hatte sie in einem Vorraum gewartet. Kostbare Wandbehänge in leuchtenden Farben bedeckten die Wände. Andere Wände aus Holz waren glänzend poliert und ebenfalls mit Behängen aus leuchtend roter Seide und blauer Wolle geschmückt. Olav hatte ihr damals gesagt, wie sehr der König rote Seide schätzte. Er trug kaum eine andere Farbe. Und er trug Juwelen. Er liebte Ringe, Halsketten und Armreife aus schwerem Gold und Silber.
Heute war sie nicht in Olavs Begleitung. Sie war kein junges Mädchen mehr, dem vor Staunen der Mund offen stehen blieb. Sie war eine Gefangene. Sie straffte die Schultern und wartete ab.
Die Hand des alten Arnulf lag flach auf ihrem Rücken. Er stieß sie nach vorn, als könne sie ohne seine Führung nicht alleine gehen. Das ärgerte sie. Sie hätte ihn gern beschimpft, daß er ein Narr und blind für die Wahrheit sei. Doch sie mußte sich beherrschen. Sie würde dem König die Wahrheit sagen, und er würde zumindest über ihre Worte nachdenken.
König Guthrum war nicht länger der gutaussehende, junge Wikinger, der seit nahezu drei Jahrzehnten das gesamte Danelagh beherrschte. Er war alt, knorrig und weißhaarig geworden, und sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen. Er saß auf einem prachtvollen Thron, dessen Armlehnen mit kunstvollen Schnitzereien verziert waren. Kostbare rote Seidengewänder kleideten ihn, und er trug viele Armbänder und Ringe. Um seinen Hals lag ein breiter, mit Rubinen und Diamanten besetzter Goldreif. Etwa ein Dutzend Männer stand neben dem Königsthron. Arnulf stieß Zarabeth nach vorn. »Auf die Knie«, zischte er, und sie sank zu Boden.
»Du bist Zarabeth, die Witwe von Olav.«
»Ja, Sire«, antwortete sie tapfer und blickte dem König direkt in die Augen.
»Davor warst du seine Stieftochter, und dann versprach er dir die Heirat. Bei deiner Hochzeit glaubte ich, Olav habe eine gute Wahl getroffen.«
Unter den kalten Worten und der Verzerrung der Tatsachen zuckte sie zusammen. »Nein, Sire, so war es nicht. Er wünschte mich und meine kleine Schwester Lotti zu beschützen. Deshalb bestand er darauf, mich zu heiraten.«
König Guthrum wandte sich an Keith, und Zarabeth folgte seinem Blick. Keith schüttelte den Kopf. Hinter ihm stand Toki. Verzweifelt hielt Zarabeth Ausschau nach Lotti, doch sie konnte das Kind nirgends finden.
Angst und Wut kämpften in ihr, erstickten sie beinahe. Nun wandte der König sich wieder an sie. »Arnulf sagt, du möchtest zu deiner Verteidigung sprechen. Nun hast du Gelegenheit dazu. Beeile dich. Auf mich warten wichtige Staatsgeschäfte.«
Zarabeth kam langsam auf die Füße. Ihre Hände strichen wie abwesend über ihr Kleid, ihre Schultern strafften sich. Sie hob das Kinn. Ihr war klar, daß ihr Leben
von ihren Worten abhing.
»Ich spreche die Wahrheit, Sire. Ich habe Olav nicht getötet. Ich habe ihn während seiner Krankheit aufopfernd gepflegt. Er war gut zu mir. Ihr selbst wart zu Gast bei unserer Hochzeit, und Ihr habt gesehen, daß er guter Dinge war. In jener Nacht war er betrunken, wie alle unsere Gäste. Am nächsten Tag wurde er krank, und sein Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Ich habe alles getan, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Dann kam der Abend, an dem Keiths Frau mir böse Beschimpfungen an den Kopf warf. Olav wies seinen Sohn und seine Schwiegertochter aus dem Haus. Sie durften nicht wieder kommen. Schon am nächsten Tag fühlte Olav sich besser. Er war beinahe gesund, als er Keith und Toki vergab, und die beiden wieder gemeinsam mit uns das Nachtmahl einnahmen. Er wurde erneut krank und starb noch in derselben Nacht. Ich habe ihn nicht
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