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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Unschuld zu überzeugen. Bald, sehr bald.
    Es war der Stein, den sie übersah. Sie stolperte und stürzte zu Boden, fing den Sturz mit den Händen ab, spürte, wie Sand und spitze Steine sich in das Fleisch ihrer Handballen bohrten. Sie blieb auf Händen und Knien liegen, hielt den Kopf gesenkt, die Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht.
    »Steh auf!«
    Sie bemühte sich aufzustehen, doch ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen.
    »Steh auf! Sonst peitsche ich dich aus.«
    Sie hob den Kopf. Ihr Blick fiel auf seine staubigen Stiefel, wanderte seine nackten Beine nach oben. Sein Wams reichte ihm bis zu den Knien. In seinem Gürtel steckte ein langes Messer. An einem seiner nackten Arme trug er einen breiten goldenen Armreif. Dann sah sie sein Gesicht, die gefühllose Kälte seiner Augen.
    »Steh auf«, befahl er barsch.
    Sie zwang sich in die Hocke, holte tief Luft und versuchte aufzustehen. Leute waren stehengeblieben und tuschelten miteinander.
    »Jetzt ist sie eine Sklavin. Eigentlich müßte man ihr zur Strafe den Kopf abschlagen.«
    »Nein, Zarabeth ist ein guter Mensch, sie hat Olav nicht umgebracht.«
    »Sie war ein gutes Kind . . . doch jetzt ist sie habgierig und böse . . .«
    Plötzlich war alles zuviel. Zarabeth blickte in die Gesichter der Männer und Frauen, die sie kannte, seit ihre Mutter Olav geheiratet hatte und mit ihr nach York gekommen war. Sie sah Haß und Verachtung; sie sah Beklommenheit und Mitleid. Sie blickte in Magnus' Gesicht und sah nichts als Kälte. Dann wurde es dunkel. Sie sackte besinnungslos zu Boden.
    Er spürte einen Stich im Herzen. Rasch bückte er sich und hob sie in die Arme. Ihr Körper war leblos, ihr Kopf kippte nach hinten, das Haar hing ihr beinahe bis zum Boden.
    Stumm trug er sie zur Seewind. Horkel begrüßte ihn. »Ist das die Frau?«
    »Ja, sie hat das Bewußtsein verloren. Wegen der sengenden Sonne oder ihres schlechten Gewissens, ich weiß es nicht.«
    »Sie hat lange nichts gegessen. Sie war im Sklavenlager untergebracht.«
    Das hatte Magnus nicht gewußt. Er hatte angenommen, man habe sie in Olavs Haus in Gewahrsam gehalten. Er schluckte schwer. »Ich bringe sie in den Frachtraum. Dort hat sie Schatten.«
    »Ich bringe Wasser und etwas zu Essen.«
    Magnus nickte und begab sich zum Bug des Bootes, wo sich ein geräumiger, überdachter Raum befand, um die Fracht zu verstauen. Dort fanden außerdem drei bis vier Männer Schutz vor Wind und Wetter. Hinter seinem Rücken hörte er Ragnar zu Horkel sagen; »Ob er sie umbringt?«
    Horkels Antwort war vermutlich nur ein Schulterzucken, wie es seine Art war. Er redete nicht viel, behielt seine Meinung lieber für sich.
    »Hältst du sie für schuldig, ihren Mann umgebracht zu haben? Ganz York spricht davon. Sie nennen sie eine habgierige Giftmischerin. Sie soll auch Magnus betrogen haben.«
    »Ich weiß nicht. Magnus glaubt es jedenfalls. Er wird ihren Willen brechen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ihn abgewiesen hat«, sagte Ragnar. Die Stimmen entfernten sich. »Ich dachte, er hätte sie sich längst aus dem Kopf geschlagen.«
    Magnus lächelte grimmig und schlug die Otterfelle beiseite, die den Frachtraum abteilten.
    Es war stickig im Verschlag. Er legte sie auf eine geflochtene Matte. Dann holte er eine Wolldecke aus einer Kiste, breitete sie aus und legte sie darauf. Sie war sehr bleich.
    Ihr Anblick verursachte ihm Schmerzen. Bei Odin, sie hatte ihn beinahe um den Verstand gebracht mit ihren Lügen und ihrem Verrat. Doch nun gehörte sie ihm. Jetzt konnte sie ihm nichts mehr anhaben. Sie war ihm völlig ausgeliefert.
    Horkel kam mit einer Schale Wasser. Magnus tätschelte Zarabeths Wangen. Sie bewegte sich leise stöhnend.
    »Zarabeth, wach auf!« Er nahm Horkel die Schale ab und setzte sie ihr an die Lippen. Sie hielt die Augen geschlossen, doch ihre Lippen teilten sich, und sie trank gierig.
    »Langsam. Du verschluckst dich sonst.« Er entzog ihr die Schale, und sie stöhnte auf. »Gut, aber langsam.« Nachdem sie die Schale leergetrunken hatte, kehrte etwas Farbe in ihre bleichen Wangen zurück. Sie öffnete die Augen und blickte Magnus an.
    Sie lächelte, hob die Hand, und ihre Finger berührten sein Gesicht. »Magnus«, hauchte sie. »Ich dachte, ich würde dich nie Wiedersehen.« Er zuckte zurück, Zorn verdunkelte seine Augen, und er sah, wie die Wirklichkeit ihrer Lage in ihr Bewußtsein sickerte.
    »Horkel hat dir Essen gebracht. Hast du Hunger?«
    Sie schluckte ihre Tränen hinunter. Einen

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