Im Schatten der Mitternachtssonne
Leib, Magnus! Ich steche zu. Ich verlasse York und dich. Du hast dich geweigert, Lotti zu holen. Ich konnte sie nicht bei Toki lassen. Nun gehe ich, ob es dir paßt oder nicht. Rühr mich nicht an!«
Er lachte über ihren Zorn. Er lachte sie aus! Das Blut pochte in ihren Schläfen, sie zitterte vor Zorn und Angst, fuhr herum und rannte los. Es war eine törichte und sinnlose Flucht. Er packte sie und riß sie herum. In ihrer Panik konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Ihr rechter Arm schnellte hoch mit dem gezückten Messer in der Hand.
Verblüfft wegen der gegen ihn gerichteten Waffe lockerte er seinen Griff, und wieder gelang es ihr, sich loszureißen. Doch das Kind war zu schwer für sie, um Lotti auf die Erde zu stellen, und Magnus warf sich auf sie. Jetzt lachte er nicht mehr.
»Rühr mich nicht an!«
Seine Bewegungen waren langsam, gelassen abwägend. Sie wich zurück. Sie würde das Messer benutzen, wenn er sie dazu zwang. Dann hörte sie Lottis Wimmern, ihre entsetzte, dünne Stimme, und sie warf dem Kind einen Blick zu. Magnus nutzte seine Chance, packte zu und drehte ihr den Arm um, der das Messer hielt.
Der Schmerz schoß ihr bis zur Schulter hoch, sie konnte einen Schrei nicht unterdrücken und versuchte, sich ihm zu entwinden. Er war doppelt so stark wie sie.
Mit der freien Hand schlug sie gegen seine Brust, in sein Gesicht, doch er drehte ihren rechten Arm umso mehr, bis sie stöhnend in die Knie ging. Er drehte weiter, bis ihr das Messer entglitt und klirrend zu Boden fiel.
Lotti rannte schreiend zu ihr. Es war das Kind, das seine Wut besänftigte. Er konnte nicht zuschlagen, wenn das kleine Mädchen schluchzend daneben stand und versuchte, seine Schwester zu beschützen.
Er stand drohend über der Sklavin, atmete tief durch, um seine Beherrschung wieder zu erlangen. Das kunstvoll gearbeitete Messer lag locker in seiner Haand. »Ich habe dieses Messer für einige verzierte Specksteinschalen getauscht. Es ist ein Geschenk für meinen jüngeren Bruder Jon. Ich hätte mich sehr geärgert, wenn es dir gelungen wäre, damit zu entkommen. Ich hätte Pferde kaufen müssen, um dich zu verfolgen. Aber du hast es mir leicht gemacht, Zarabeth. In Olavs Haus fand ich die schluchzende Toki und ihren verstörten Ehemann. Sie behauptete, du hättest versucht, sie umzubringen. Sie befahl Keith, zum Ältestenrat zu gehen und dich steinigen zu lassen, wie es einer Giftmischerin gebührt. Ich versprach Keith, für deine Bestrafung zu sorgen; keiner der beiden brauchte Angst vor dir haben. Wie du dir vorstellen kannst, hielt Toki nicht viel von meiner Zusage. Sie will dein Blut sehen. Sie zeigte mir die Würgemale an ihrem Hals. Sie muß Olav sehr zugetan gewesen sein, da sie seinen Mord so eifrig rächen möchte. Ich werde mich um deine Bestrafung kümmern, Zarabeth. Steh auf, ich möchte auf mein Schiff zurückkehren. Und dann werde ich entscheiden, was mit dir geschehen soll.«
Ihr Handgelenk brannte wie Feuer. Atemlos blickte sie zu ihm auf. »Lotti«, stieß sie hervor. »Ich lasse Lotti nicht allein.«
»Du wagst es, Forderungen zu stellen? Du bist nicht mein Eheweib, du bist meine Sklavin, sonst nichts.«
»Ich lasse Lotti nicht allein«, wiederholte sie betont langsam, ihr Mund war vor Angst und Schmerz ausgetrocknet.
»Bei Odins Wunden, du zwingst mich, dich zu schlagen!« knurrte er. Doch dann sah er Tokis haßerfülltes Gesicht vor sich. Aufgrund der Vorfälle würde sie sich bestimmt an dem Kind rächen. Er blickte auf das kleine Mädchen hinunter, das mit entsetzt verzerrtem Gesicht neben seiner im Staub kauernden Schwester stand, die kleine Hand auf ihrer Schulter. Das Kind war unschuldig. Er seufzte.
»Steh auf. Ich muß aufs Schiff zurück. Du hast mich sehr verärgert und mir nur Scherereien gemacht. Ragnar ist so wütend auf dich, daß er dich am liebsten umbringen würde.«
»Das ist mir egal.«
»Es wäre dir nicht mehr egal, wenn ich dich Ragnars Willkür überlassen würde.« Er hatte Mitleid mit ihr, denn er hatte sie besiegt, ihr Wille war gebrochen, sie kauerte wie ein jämmerliches Häufchen Elend zu seinen Füßen. Er würde dem Kind nicht wehtun. »Steh auf. Das Kind kommt mit uns.«
Zarabeth hob den Kopf, ungläubig, argwöhnisch. »Schwörst du das?«
Irritiert schnappte Magnus zurück. »Ich lüge nicht wie du. Ich sage es nicht noch einmal.«
Er machte keine Anstalten, ihr aufzuhelfen. Zarabeth kam mühsam auf die Füße, streckte die Arme nach Lotti aus, doch Magnus
Weitere Kostenlose Bücher