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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gepreßt und rannte um ihr Leben, den Blick auf das Boot geheftet. Bald hatte sie es geschafft. Bald.
    »Fall nicht! Du tust Lotti weh. Bleib stehen!«
    Lotti weh tun! Sein Sohn hatte versucht, Lotti umzubringen! Sie sollte ihren kleinen Liebling verletzen? Den einzigen Menschen auf der ganzen Welt, der sie liebte und ihr vertraute? Sie hörte nicht auf die Zurufe, diese lenkten sie nur ab, waren ohne Bedeutung, hatten nichts mit ihr zu tun. Ihr Blick war starr auf das Boot gerichtet, sie spürte nur das brennende Verlangen: frei zu sein. Er war jetzt dicht hinter ihr. Sie rannte schneller. Die spitzen Steine stachen in ihre Fußsohlen, doch sie spürte den Schmerz kaum. Sie lächelte grimmig und drückte Lotti noch fester an sich.
    Sie sah nur das rettende Boot.
    Sie rannte auf den Steg, riß im Laufen die Leine vom Holzpfahl und sprang ins Boot, das wild zu schaukeln begann. Sie stellte Lotti ab, setzte sich auf die schmale Bank, ergriff die langen Ruder und begann sie in Bewegung zu setzen.
    Magnus rannte fluchend auf den Steg; nackte Angst hatte ihn gepackt. Zarabeth hatte gute fünf Meter Vorsprung. Jetzt tauchte sie ungeschickt die Ruder ein, dennoch trug die Strömung das Boot mit sich, der Abstand vergrößerte sich. Jeder Wimpernschlag trug sie von ihm fort.
    Seine irrsinnige Angst machte ihn zum Berserker. »Nein!« brüllte er und sprang kopfüber ins Meer. Der Schock des kalten Wassers lähmte ihn einen Augenblick. Er wartete unter Wasser, bis sein Körper sich an die Kälte gewöhnt hatte, dann stieß er sich nach oben. Sein Oberkörper schoß aus dem Wasser; er schwamm mit kräftigen Zügen hinter dem Boot her. Die Strömung bildete gefährliche Strudel; doch er war stark, und er war fest entschlossen. Entschlossener denn je.
    Der Viksfjord mündete im Osten in den Oslofjord, seine Strömung wurde von einer schmalen Landzunge zerschnitten, die sich in das Meer hinausschob. Dadurch entstanden starke Wirbel und Strudel; die See verwandelte sich in brodelnde Gischt. Er sah, daß Zarabeth keine Ahnung hatte, wie man ein Boot ruderte. Ihre Bewegungen waren unrhythmisch und unbeholfen. Das Boot schaukelte im Kreis und war der Strömung überlassen. Dadurch konnte er den Abstand verkürzen. Bald würden ihre Kräfte sie verlassen, und er würde den Bootsrand zu fassen kriegen.
    Ihm war klar, daß Zarabeth ihn sah. Ihm war auch klar, daß sie nicht eigentlich wußte, was sie tat.
    Bei Thors Hammer, er hatte sie so weit getrieben. Sie hatte das alles einfach nicht mehr ertragen. Entsetzen krampfte ihm die Brust zusammen. Lotti fuhr auf der schmalen Holzbank herum, sah ihn und begann, ihm wild zuzuwinken. Mit angstverzerrtem Gesicht schrie sie immer wieder nach ihm, schrill und in Panik.
    Er schwamm schneller, seine Kräfte wuchsen ins Übermenschliche. An der Landzunge würde er sie auf alle Fälle eingeholt haben. Das Boot war immer noch nahe dem Ufer, gefährlich nahe, denn hier gab es dichte Wälder von Schlingpflanzen. Das Boot wurde jetzt von einem Strudel ergriffen, wild im Kreis gedreht und schräg dem Land zugespült. Lotti hielt sich schreiend am Bootsrand fest. Er brüllte: »Haltet euch fest! Ich komme!« Wenn er nur ein zweites Boot hätte, wenn nur seine Männer da wären ...
    Ohne Vorwarnung schlang sich das Seegras um seine Beine und zog ihn nach unten. Je mehr er versuchte, sich zu befreien, desto fester schlangen sich die Pflanzen um seine Beine. Das Wasser war seichter, als er dachte, konnte nicht mehr als zwei Meter tief sein. Er strampelte sich frei, wurde sofort von den nächsten Fangarmen umschlungen, die ihn unerbittlich festhielten und nach unten zogen.
    Er schloß kurz die Augen, stieß sämtliche ihm bekannten Flüche aus und zog sein Messer aus dem Gürtel, holte tief Luft und verharrte reglos im Wasser. Er ließ sich ohne Gegenwehr von den Armen des Seetangs nach unten ziehen, bevor er sich mit dem Messer frei schnitt. Doch je mehr Fangarme er durchtrennte, umso mehr schienen ihn zu umschlingen.
    Wild um sich schlagend befreite er sich von den Schlingpflanzen, tauchte auf, um nach Luft zu schnappen und nach dem Boot Ausschau zu halten, das sich wieder weiter von ihm entfernt hatte. Zu seinem Entsetzen wippte Lotti auf dem schmalen Brett im schwankenden Boot, schrie und streckte die Arme nach ihm aus. Sie fürchtete um sein Leben.
    Und im gleichen Augenblick erkannte er die Absicht des Kindes und brüllte wie von Sinnen: »Nein, Lotti! Setz dich hin! Zarabeth, halt sie fest!«
    Zu

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