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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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spät. Das Kind schrie gellend: »Papa! Papa!« und sprang ins Wasser, um ihn zu retten. Magnus war dem Wahnsinn nahe. Er schwamm um Lottis und um sein Leben. Zarabeth war aufgesprungen, klammerte sich am Bootsrand fest und hielt rufend Ausschau nach Lotti.
    Das Seegras, dachte Magnus, als er sich der Stelle näherte, wo das Kind gesprungen war. Er tauchte. Das Wasser war trüb, der Wald aus tausendarmigen Schlinggewächsen dicht, die ständige Bewegung wühlte Sand und Schlamm vom Grund des Viksfjord auf. Er suchte verzweifelt, bis er glaubte, seine Lungen zerplatzten.
    Er stieß sich nach oben, schoß aus dem Wasser, holte röchelnd Luft. Er war jetzt nahe bei Zarabeth, das Boot hatte sich im Seetang verfangen und schaukelte auf der Stelle.
    Er holte tief Luft, mehrmals hintereinander und tauchte wieder. Nichts, immer noch nichts.
    Immer wieder tauchte er und konnte sie nicht finden. Er tauchte auf. Mehrere seiner Männer waren nun im Wasser. Und jeder tauchte nach dem Kind. Das Wasser war so trüb, daß er die Männer bisher nicht gesehen hatte. Wenn er nicht einmal seine Männer sehen konnte, wie sollte er da ein kleines Kind finden. Bei allen Göttern! Er wußte nicht mehr, wo sie gesprungen war. Vielleicht hatte die Strömung ihn abgetrieben.
    Magnus betete. Er verpfändete Odin sogar seine Seele, wenn er nur Lotti unversehrt in die Arme schließen könnte. Wenn sie nur wie durch ein Wunder auftauchen und »Papa« rufen würde.
    Er tauchte wieder.
    Seine Arme wurden hochgerissen, und sein Kopf tauchte aus dem Wasser. Er wehrte sich, bis er begriff, daß Horkel ihn an einem Arm und Ragnar am anderen festhielt. Er blickte verständnislos von einem zum anderen.
    »Es ist genug, Magnus!« rief Horkel, doch Magnus zog beide, Horkel und Ragnar, unter Wasser.
    Sie ließen ihn los, und Magnus machte noch einen Versuch. Und danach noch einen, obgleich er die Hoffnung aufgegeben hatte. Die Strömung war hier sehr stark, sie waren zu nah an der Landzunge, zu nah am Ufer und zu dicht an den Schlingpflanzenwäldern. Lotti war erst fünf Jahre alt. Entweder hatte die Strömung sie mitgerissen, oder sie hing leblos im Seegras verschlungen.
    Er kam an die Oberfläche und sah Zarabeth. Sie war im Wasser, hielt sich mit einer Hand am Boot fest, und sie schrie flehend, Lotti möge zu ihr zurückkommen.
    Magnus konnte es nicht ertragen. Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte wie ein Tier, wild und verzweifelt, daß seinen Männern das Blut in den Adern gefror.
    Zarabeth hörte diesen Schrei, sah die Verzweiflung in seinem Gesicht und wußte, daß Lotti ertrunken war. Lotti war tot. Sie schüttelte unaufhörlich den Kopf und schrie:
    »Nein! Sie lebt! Sie ist nicht tot. Sie lebt! Nein!«
    Zu Magnus' Entsetzen stieß sie sich vom Boot ab, schlug wild mit den Armen um sich und hörte nicht auf zu schreien. Sie konnte nicht schwimmen. In der nächsten Sekunde war er bei ihr, ergriff ihren Arm und zog sie ins Boot zurück. Sie kämpfte mit erstaunlicher Kraft gegen ihn an, er hatte Mühe mit ihr, da er völlig entkräftet war.
    Horkel packte ihren anderen Arm, und gemeinsam hievten sie ihren Oberkörper über den Bootsrand. Magnus zog sich ins Boot, ergriff ihren Arm und versuchte sie ganz ins Boot zu heben. Wild um sich schlagend wehrte sie sich gegen ihn.
    In seiner Verzweiflung versetzte er ihr einen Fausthieb ans Kinn. Sie sackte leblos vornüber, und er zog sie ins Boot.
    Horkel versicherte: »Wir suchen weiter nach dem Kind. Aber die Strömung ist hier sehr tückisch. Und dieser verfluchte Seetang kann einen kräftigen Mann umbringen. Und das Kind ist so klein . . .«
    »Ja. Wem sagst du das!«
    Er wollte noch einmal tauchen, wußte aber, daß Zarabeth wieder ins Wasser springen würde, sobald sie das
    Bewußtsein erlangte. Und dann würde er auch sie verlieren.
    Er war in seinem ganzen Leben noch nicht so verzweifelt und hilflos gewesen. Er zog Zarabeth in seine Arme. Sie fühlte sich kalt an, ihr Körper war leblos. Er strich ihr die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und flüsterte dicht an ihrem Mund: »Sie geben nicht auf, Zarabeth. Sie geben nicht auf. Es tut mir so leid, es tut mir so furchtbar leid.« Dann riß er den Kopf hoch. Einer der Männer hatte etwas gerufen. Sie hatten Lotti gefunden!
    Wilde Hoffnung stieg in ihm hoch, erstarb aber sogleich wieder. Tostig hatte nur einen Holzklotz nach oben gebracht.
    Er wußte: die kleine Lotti war tot. Es war zu viel Zeit verstrichen. Er wußte es, konnte sich aber nicht

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