Im Schatten der Vergeltung
fuhr Maureen fort: »Die Erklärung ist einfach: Ich möchte zu einer politischen Versammlung gehen, die Männern vorbehalten ist. Ich denke, es könnte nicht schaden, wenn ich mich ein wenig umhöre, wie die Stimmung im Land ist, denn Euer und das Wohl Eures verehrten Vaters liegen mir sehr am Herzen.«
Maureen befürchtete einen Zornausbruch über ihr absurdes Ansinnen, denn die Brauen des Prinzen zogen sich bedrohlich über der Nasenwurzel zusammen. Sie hielt seinem bohrenden Blick stand und setzte darauf, der Prinz, selbst in vielen Bereichen unkonventionell, würde ihr Vorhaben als Laune einer kapriziösen Dame ansehen. Minutenlang herrschte Schweigen zwischen ihnen, bis der Prinz schließlich kapitulierte und in schallendes Gelächter ausbrach.
»Lady Sybil St. Cleer, Ihr schafft es immer wieder aufs Neue, mich zu überraschen! Ihr wollt als Mann verkleidet zu einer politischen Versammlung? Das habe ich ja noch nie erlebt, Ihr habt aber Schneid, und das gefällt mir. Um welches Thema geht es denn bei dem für Euch so wichtigen Ereignis?«
»Über die Absenkung der Fenstersteuer in kleineren Gemeinden«, antwortete Maureen und verschwieg wohlweislich, dass ihr einziges Interesse, die Debatte zu besuchen, darin begründet lag, dass Willard Foster als Redner angesagt war.
Stöhnend griff der Prinz sich an den Kopf. »Frauen! Ich werde sie niemals verstehen!«
Eine Stunde später brachte man Maureen eine dunkelbraune Kniehose, den dazugehörigen Rock, cremefarbene Seidenstrümpfe und ebensolche Schuhe und einen weiten warmen Mantel. Vervollständigt wurde die Ausstattung von einer schulterlangen Perücke aus hell gepuderten Locken. Maureen trennte lediglich die Goldlitzen, mit denen der Kragen und die Ärmelumschläge des Rocks gesäumt waren und die goldenen Zierknöpfe ab, dann schlüpfte sie in die ungewohnte Kleidung. Der Prinz verfügte über eine ähnlich schlanke Gestalt wie sie selbst und war nur wenig größer. Nachdem sie die Perücke aufgesetzt hatte, betrachtete sie sich ausgiebig im Spiegel, aus dem ihr die Erscheinung eines Edelmannes entgegenblickte. Die Verwandlung war perfekt. Einzig ihre Gesichtszüge, besonders aus der Nähe betrachtet, ließen ihre Weiblichkeit erkennen. Mit ein wenig Ruß aus dem Kamin schwärzte sie die Wangen und das Kinn, um den Anschein eines Bartschattens zu erwecken. Da das Wetter trübe und neblig war, würde sie sich unbesorgt den Mantelkragen übers Kinn schlagen und den Hut tief in die Stirn ziehen können. Sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, was sie von dem morgigen Tag erwartete, sah der Versammlung aber gespannt entgegen.
» Daher sage ich Euch, Mylords, eine erneute Anhebung der Fenstersteuer würde für die Bewohner von kleineren Weilern, zu denen auch Islington zählt, den Ruin bedeuten!« Willard Foster hatte sich so in Rage geredet, dass ihm der Schweiß von der Stirn perlte, obwohl es in der Halle unangenehm kalt war.
Fröstelnd zog Maureen den Mantel enger um sich. Nur flüchtige Blicke hatten sie gestreift, als sie die Versammlung betreten hatte, jetzt stand sie hinten in einer Ecke, und keiner schenkte ihr Beachtung.
Fosters Worte lösten eine hitzige Debatte aus, die Männer riefen laut durcheinander. Die im vorhergehenden Jahrhundert eingeführte Fenstersteuer, die unverändert erhoben wurden, hatte zur Folge, dass der Teil der Bevölkerung, der über geringe Mittel verfügte, sehr zum Schaden ihrer Gesundheit nur über kleine, zum Teil sogar gar keine Fenster, verfügte. In Adelskreisen war es üblich, zum Ausgleich des mangelnden Lichtes, große Spiegel in allen Räumen anzubringen, die meisten Londoner Bürger und Handwerker konnten sich das jedoch nicht leisten. Seit Jahren kämpften die Parteien erfolglos für die Abschaffung der Fenstersteuer.
Obwohl Fosters Argumente einleuchtend und, zumindest für Maureen, überzeugend klangen, kristallisierte es sich bald heraus, dass er sich auch heute nicht würde durchsetzen können. Nach einer Stunde begann Maureen sich zu langweilen. Die Debatte drehte sich im Kreis, nichts wurde gesagt, was nicht zuvor schon erwähnt wurde. Unbemerkt verließ sie den Saal. Sie wusste nicht, was sie von der Versammlung erwartet hatte und fühlte sich enttäuscht. Das Einzige, das sie amüsierte, war die Tatsache, dass niemand unter der Männerbekleidung eine Frau vermutet hatte. Der Prinz würde Rechenschaft von ihr verlangen und über ihren kleinen Ausflug belustigt sein. Maureen winkte eine Mietdroschke
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