Im Schatten der Vergeltung
vor dem Kaminfeuer und nippten an einem Glas Wein. Laura begann sogar, von Bothy Castle, ihrer Heimat am Loch Melfort, zu erzählen. Waren das Leben mit ihrem tyrannischen Vater und die Umstände, unter denen Laura ihr Zuhause verlassen hatte, auch schrecklich gewesen – ein kleines Stück von Lauras Herz hing an ihrer Heimat. Maureen hatte nichts von Lauras Talent geahnt, Dinge und Menschen derart plastisch schildern zu können, dass man sie regelrecht vor sich sehen konnte. Sie hatte das Gefühl, selbst auf Bothy Castle zu sein, so vertraut schien ihr bald jeder Winkel der alten Burg.
An einem kalten, nebligen Nachmittag saßen Laura und Maureen im gut geheizten Salon. Aufmerksam studierte Maureen die Tageszeitung. In den letzten Wochen war das zu einem angenehmen Ritual geworden, denn die kleine Bibliothek von Sir Gorden bot für Maureen keine ansprechende Lektüre. Plötzlich stand Laura auf und ging durch das Zimmer, als würde sie etwas suchen. Sie strich über die gemusterten Seidenbezüge der zierlichen Stühle, dann nahm sie eine mit tanzenden Nymphen bemalte Vase in die Hand und betrachtete sie eingehend von allen Seiten. Vorsichtig stellte sie das kostbare Stück zurück auf das Mahagonitischchen.
»Dies alles hier …«, sie machte eine ausladende Geste, »war es das wert, Schottland zu verlassen und seine Heimat zu verraten?«
Verwirrt sah Maureen von ihrer Lektüre auf.
»Was meinst du?«
»All diese schönen Dinge, edle Stoffe, jeden Tag ein warmes Feuer im Kamin und reichlich zu essen ... «
Seufzend legte Maureen die Zeitung zur Seite.
»Jetzt hör endlich auf. Als ich mich in Philipp verliebte, hatte ich keine Ahnung, aus welchen Verhältnissen er stammt.«
»Du hättest es dir denken können, immerhin war er trotz seiner Jugend bereits Offizier«, beharrte Laura. »Ein solches Amt kann ein Mann nur mit sehr viel Fleiß und Tapferkeit oder aber mit dem großen Geldsack des Vaters erreichen.«
Unwillig verzog Maureen das Gesicht.
»Ich habe mir keine Gedanken gemacht, und ich hätte Philipp auch geheiratet, wenn er arm gewesen wäre. Du kannst mir glauben, Mutter: Hätte ich geahnt, was mich in Cornwall erwartet, wäre ich Philipp nicht derart blauäugig gefolgt. Von allen Seiten schlug mir Ablehnung entgegen. Ablehnung, nicht nur, weil ich arm war, sondern weil ich Schottin war. Philipps Vater war nahe daran, seinen Sohn zu enterben. Es war weiß Gott kein Kinderspiel, sich die Anerkennung der Menschen zu erringen, das kannst du mir glauben.«
Maureen war erleichtert, dass sie ihrer Mutter endlich die Wahrheit gesagt hatte. Sie wollte nicht länger so tun, als wären die vergangenen Jahre nur immer eitel Sonnenschein gewesen.
»Möchtest du mir erzählen, was geschehen ist, nachdem du fortgegangen warst?«, fragte Laura vorsichtig, beinahe schüchtern.
Maureen war überrascht, denn zum ersten Mal zeigte Laura aufrichtiges Interesse an ihrem Leben. Sie erzählte von Trenance Cove, wie Esther Linnley sie geformt und wie sie ihre Tage verbracht hatte.
»Du siehst, es war nicht leicht, als einfache Frau von der Gesellschaft akzeptiert zu werden«, schloss Maureen.
»Lady Esther würde ich gern mal kennenlernen«, sagte Laura unvermittelt. »Die Vettel wäre bestimmt äußerst pikiert und würde bei meinem Anblick einen Herzschlag bekommen.«
Maureen lachte laut auf. Diese Vorstellung, Esther Linnley und ihre Mutter trafen aufeinander, war wirklich zu komisch! Laura fiel in ihr Lachen ein, und Maureen lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen. Seit sie Lauras Geschichte erfahren hatte, hatte Maureen geglaubt, niemals wieder fröhlich sein zu können. Dieses Lachen war nun derart befreiend, dass es war, als würden die Sorgen der vergangenen Wochen mit einem Schlag verschwinden. Auch konnte Maureen sich nicht erinnern, jemals mit ihrer Mutter zusammen gelacht zu haben.
»Du hättest aber wissen müssen, wie die Engländer sind.«
Diese kleine Spitze konnte sich Laura dann doch nicht verkneifen. Maureen zwinkerte ihr zu.
»Ich möchte mich nicht beklagen. Ich liebte Philipp aufrichtig. Natürlich fühlte ich mich in dem wunderschönen Haus auch sehr wohl und das neue Leben war angenehm. Es ist keine Schande zuzugeben, dass man gerne Luxus und eine ausreichende Anzahl von Dienstboten um sich hat.« Sie seufzte. »Du solltest Trenance Cove einmal sehen, dagegen ist dieses Haus eine armselige Bauernkate.«
»In der ein armes, todkrankes Weib wie ich meine Tage beschließen darf
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