Im Schatten der Vergeltung
Schatten.
»Es tut mir leid, Maureen, aber ich muss mich darum kümmern, den Namen Trenance vor jeglichem Makel zu bewahren. Das bin ich der langen Tradition meiner Familie schuldig.«
Eine Welle aus Wut, Enttäuschung und Angst schlug über Maureen zusammen, gleichzeitig fühlte sie sich wie versteinert. Maureen bekam eine Ahnung davon, was Laura damals empfunden haben musste. McCorkindale hatte sich zwar niemals liebevoll um seine Familie gekümmert, aber Laura hatte ihm trotzdem vertraut. Sie hätte niemals geglaubt, dass er sie an Offiziere verschachern würde, um seine eigene Haut zu retten. Maureen verstand nun, warum sie so kalt geworden war. Nach diesem Erlebnis konnte sie keinem anderen Menschen jemals wieder Vertrauen schenken. Laura hatte es niemals gewagt, wieder Gefühle für jemanden zu entwickeln. Denn wer liebt, ist verletzbar. Nie zuvor wurde Maureen dies deutlicher bewusst, als in diesem Augenblick. Sie liebte Philipp, aber sie hatte ihn verloren. Seine Liebe – wenn es überhaupt jemals Liebe gewesen war – war nicht stark genug, um der Zukunft gelassen entgegenzusehen. Sie konnte seine Bedenken weder verstehen noch teilen. Es tat unsäglich weh, als würde ihr jemand ein glühendes Schwert ins Herz rammen und es dort langsam herumdrehen. Maureen wollte es aber nicht zulassen, von Philipp verletzt zu werden. Niemals würde sie um seine Liebe und Zuneigung betteln! Nein, vorher würde die Hölle gefrieren! Der Spalt, der sich zwischen ihr und Philipp bereits in den letzten Jahren langsam geöffnet hatte, war binnen weniger Stunden zu einer unüberwindlichen Schlucht geworden.
Langsam und unsäglich müde, und doch wissend, keinen Schlaf finden zu können, ließ Maureen ihren Mann stehen und ging mit schweren Schritten aus dem Zimmer. Er rief sie nicht zurück. Die scheinbar heile Welt, in der sie geglaubt hatte zu leben, war in sich zusammengestürzt, und Maureen wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Sie wusste nur, dass es unmöglich geworden war, weiterhin mit Philipp zusammenzuleben.
5. Kapitel
Edinburgh, Schottland – Januar 1781
P hilipp war ohne Maureen nach Cornwall zurückgefahren und hatte darauf bestanden, dass Frederica mitkam. Das Mädchen war verwirrt, als sie erfahren hatte, dass Maureen sie nicht begleiten würde, freute sich jedoch darauf, wieder nach Hause zu kommen. Sie konnte nicht verstehen, warum Maureen den Winter in Edinburgh verbringen wollte. Maureen hatte versucht, ihrer Tochter zu erklären, warum sie Laura jetzt nicht allein lassen konnte. Sie und Philipp hatten sich auf diese Erklärung geeinigt.
»Deine Großmutter wird bald sterben, da ist es meine Pflicht, an ihrer Seite zu bleiben«, hatte sie gesagt, und es war ihr gelungen, unbeschwert zu lächeln. »Ich verspreche dir, sobald wie möglich kehre ich ebenfalls heim.«
»Das wäre nicht nötig, wenn sie mit uns kommen würde«, hatte Frederica erwidert. »Vielleicht, wenn ich nochmal mit ihr spreche …?«
»Das hat keinen Zweck«, hatte Philipp seine Tochter unterbrochen. »Jetzt hole deinen Mantel, das Gepäck ist bereits in der Kutsche.«
Der Abschied von ihrer Familie war Maureen unsäglich schwer gefallen, sie hatte aber gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Frederica und sie hatten sich immer und immer wieder umarmt, bis Philipp schließlich ungeduldig darauf gedrängt hatte, dass Frederica endlich in die Kutsche stieg. Seine Verabschiedung war kühl und beherrscht gewesen. Bevor er eingestiegen war, hatte er Maureen einen Kuss auf die Wange gehaucht, bei dem seine Lippen kaum ihre Haut berührten hatten. Als sich die Kutsche in Bewegung gesetzt hatte und binnen einer Minute hinter der nächsten Kreuzung verschwunden war, hatte Maureen mit ihrer Selbstbeherrschung gekämpft. Wann würde sie ihre Familie wiedersehen? Müde, mit schleppendem Schritt ging sie ins Haus und zog sich für den Rest des Tages in ihr Zimmer zurück.
M aureen und Laura bewohnten weiterhin das elegante Haus am Charlotte Square. Zuerst hatte Laura protestiert und wollte in ihre kleine Kammer zurück, Maureen hatte sich aber schließlich durchgesetzt. Sie hatte keine Kraft, sich nach einer anderen Bleibe umzusehen, auch wenn sie Philipp gern bewiesen hätte, ohne seine Hilfe zurechtzukommen.
Nach und nach begann die unsichtbare Mauer, die Mutter und Tochter zeit ihres Lebens getrennt hatte, zu bröckeln. Laura zeigte sich gesprächig, aber Maureen drang nicht in sie. Wenn Laura sich kräftig genug fühlte, saßen sie abends
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