Im Schatten der Vergeltung
schrecklichen Geständnis ihrer Großmutter mitbekommen?
»Hast du es ihr erzählt?«
Philipp schüttelte den Kopf.
»Frederica hat bei den Baines zu Abend gegessen. Das Hausmädchen fing sie in der Diele ab und sagte, dass wir etwas zu besprechen hätten und nicht gestört werden möchten. Daraufhin zog sich Frederica in ihr Zimmer zurück. Ich möchte nicht, dass sie von dieser unglückseligen Geschichte erfährt. Jetzt, wo die Baines die Stadt verlassen, will Frederica so schnell wie möglich wieder nach Hause. Außerdem kann ich es mir nicht länger erlauben, meiner Arbeit fernzubleiben.«
»Aber ... ich muss mit dir darüber sprechen …«
Philipp unterbrach sie mit einer Handbewegung.
»Nicht jetzt, ich muss erst darüber nachdenken, und ich brauche Abstand. Du solltest jetzt schlafen gehen. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns.«
Schlafen! Wie konnte er in diesem Augenblick von Schlaf sprechen? Außerdem lag Laura in ihrem Bett, und da das Haus nur drei Schlafzimmer besaß, müsste sie die Nacht bei Philipp verbringen, der ihr im Augenblick so fremd erschien. Sie gab sich einen Ruck, ging auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter. Er schüttelte sie ab wie ein lästiges Insekt.
»Lass das«, sagte er barsch, und Maureen wich erschrocken zurück, denn in einem solchen Ton hatte er nie zuvor zu ihr gesprochen.
»Philipp, ich kann meine Mutter auf keinen Fall allein zurücklassen.«
»Ich bleibe keinen Tag länger! Das, was ich eben erfahren musste, hat mich zutiefst schockiert. Ich denke, wir sollten Schottland so schnell wie möglich verlassen und alles vergessen.«
»Vergessen?«, fragte Maureen ungläubig. »Wie könnte ich jemals vergessen, was meiner Mutter angetan worden ist?«
»Weil es das Beste für dich ist … Und für mich ebenso. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich mit dieser Schande weiterleben soll ...«
Verwirrt strich sich Maureen über die Stirn. Was war mit Philipp los? Sie hatte sich von ihm Verständnis und Trost erhofft, stattdessen wollte er so tun, als wäre die ganze schreckliche Geschichte niemals passiert.
»Philipp, endlich beginne ich, meine Mutter zu verstehen. Sie hat schrecklich gelitten und es muss furchtbar für sie gewesen sein, das Geheimnis die ganze Zeit mit sich herumzutragen.«
Philipp drehte sich endlich zu ihr um. Sein Gesicht war nur eine Handbreit von Maureens entfernt.
»Ich will kein Wort mehr hören! Mein Gott, ich habe nichts von alldem geahnt. Ich fühle mich ... betrogen, und ich werde zu verhindern wissen, dass alle über uns lachen.«
»Wer außer Laura, dir und mir sollte jemals davon erfahren? Oder hast du etwa vor, diese schreckliche Tat publik zu machen?« Ein Gedanke schoss durch Maureens Kopf, und sie brachte den Ansatz eines Lächelns zustande. »Oh, Philipp, jetzt verstehe ich! Du willst die Offiziere ausfindig machen und versuchen, sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Das ist sehr edel von dir, es wird sich aber dann nicht vermeiden lassen …«
»Das meine ich keineswegs!« Scharf schnitt Philipp ihr das Wort ab. »Du weißt ebenso gut wie ich, dass nach Culloden die Schotten Freiwild waren. Alles, was damals geschehen ist, geschah mit Zustimmung der Krone, daran hat sich bis heute nichts geändert. Kein Richter der Welt würde einen Offizier der britischen Armee verurteilen, nur weil dieser einem schottischen Mädchen Gewalt angetan hat.«
»Aber dann …« Maureens Mund war trocken, sie suchte nach Worten.
»Wir werden niemals wieder darüber sprechen«, fuhr Philipp schneidend fort. »Ich muss dafür Sorge tragen, dass mein guter Name nicht in den Dreck gezogen wird, damit wäre ich für alle Zeiten erledigt.«
Der Nebel um Maureen lichtete sich, sie sah plötzlich ganz klar, und Philipp wurde zu einem Fremden für sie. Sie holte tief Luft und stieß hervor: »Das ist wohl deine einzige Sorge: Die Angst um deinen guten Namen! In dieser Situation denkst du nicht ein einziges Mal an mich. Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, was das alles für mich bedeutet? Du fühlst dich betrogen? Was ist mit mir? Ich brauche dich jetzt ...«
»Vielleicht könntest du etwas leiser sprechen!«, unterbrach Philipp brüsk. »Das Personal muss unsere kleine Meinungsverschiedenheit nicht unbedingt mithören.«
»Kleine Meinungsverschiedenheit? Wie kaltschnäuzig du bist! So kenne ich dich überhaupt nicht.«
Philipp umklammerte die Rückenlehne eines Stuhls.
»Ich habe keine Lust, länger mit dir zu diskutieren. Wir
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