Im Schatten der Vergeltung
...«
»Ach Mutter, was soll dieses Selbstmitleid?« Maureens gute Stimmung verflog und ernst fuhr sie fort: »Das passt doch gar nicht zu dir. Übrigens kannst du dir künftige bissige Bemerkungen sparen. Ich habe beschlossen, mich nicht mehr von dir ärgern zu lassen.«
Maureen griff wieder nach der Zeitung und wollte weiterlesen.
»Das wollte ich nicht«, murmele Laura. »Ich wollte dich niemals ärgern oder gar verletzten.«
Berührt bemerkte Maureen, das eine Träne über Lauras Wange floss. Sie sprang auf und umarmte ihre Mutter.
»Es tut mir leid, was ich gesagt habe.«
Laura war angesichts der Umarmung sichtlich verlegen und winkte ab.
»Ich muss mich entschuldigen, denn ich war ungerecht. Ich wollte dir nicht unterstellen, dass du Philipp nur wegen seines Geldes geheiratet hast.« Sie lächelte bitter. »Es kommt zwar selten vor, in diesem Punkt scheine ich mich wohl geirrt zu haben.«
Maureen nickte nachdrücklich und sagte: »Ich denke, es ist Zeit für den Tee. Ich werde nach Jenny läuten.«
N achdem Laura einmal ihr lang gehütetes Geheimnis enthüllt hatte, fiel es ihr leichter, über die vergangenen Geschehnisse zu sprechen. Es war wie eine Befreiung für sie. Zwar schmerzte jedes Wort und sie wurde an die schrecklichen Ereignisse immer wieder erinnert, sie begrüßte jedoch diesen Schmerz. Es war Laura nie gelungen, die Tat zu verdrängen, allein durch ihre Bitterkeit hatte sie versucht, damit fertigzuwerden. Nun erkannte sie, dass das Sprechen ihr half, die Last, die so lange auf ihren Schultern war, von Tag zu Tag kleiner werden zu lassen.
Maureen wollte so viel wie möglich über die drei Offiziere erfahren, aber immer wenn das Gespräch auf die Männer kam, schüttelte Laura bedauernd den Kopf.
»Ich weiß nur noch, dass einer von ihnen deutlich jünger als die beiden anderen war. Er war bestimmt noch nicht volljährig. Vage meine ich mich zu erinnern, dass sie den Anführer mit Cliff oder so ähnlich anredeten. Das war ein richtig ekelhafter Kerl. Er war es auch, der die Urkunde unterzeichnete, die McCorkindale die Freiheit garantierte.«
»Philipp hat in der Stadtverwaltung keine entsprechende Urkunde gefunden, nur einen Eintrag, der McCorkindale von allen Vorwürfen reinwusch.«
Laura stieß einen verächtlichen Laut aus.
»McCorkindale hat diese Urkunde bestimmt nie aus der Hand gegeben. Sie beweist schließlich seinen abscheulichen Verrat. Ich bin überzeugt, das Dokument befindet sich noch irgendwo in der Burg, und dieser Cliff hat eine entsprechende Aussage gemacht, durch die McCorkindale von allen Taten reingewaschen wurde.«
Nachdenklich rührte Maureen in ihrer Tasse, obwohl sie weder Zucker noch Milch in den Tee gegeben hatte.
»Wenn das Wetter sich bessert, könnten wir an die Westküste fahren ...«
»Nein!« Lauras Züge wurden hart wie Stein. »Auf keinen Fall! Ich will meinen Vater nicht wiedersehen. Nie wieder! Erst meine sterblichen Überreste werden in die Heimat zurückkehren. Wer hätte gedacht, dass mein Körper vor dem seinigen in der Erde vermodern wird.«
Maureen verstand ihre Mutter von Tag zu Tag besser und konnte ihr Verhalten nachvollziehen. Sie selbst hätte auch nicht zu einem Ort zurückkehren wollen, wo ihr so Schreckliches widerfahren war. Maureen war längst entschlossen, Lauras Leichnam zum Loch Melfort zu begleiten und persönlich für die Beerdigung zu sorgen. Der Advokat Pepys hatte bereits eine größere Summe erhalten und würde sich um die Überführung an die Westküste kümmern. Auch wenn es Laura, seit sie in einem warmen Haus mit regelmäßigen, kräftigen Mahlzeiten lebte, besser zu gehen schien – Maureen war nicht so blauäugig zu glauben, ihre Mutter würde wieder genesen. Kurz vor Weihnachten, als Laura einen sehr heftigen Anfall gehabt hatte, hatte Maureen einen zweiten Arzt zu Rate gezogen, der die vernichtende Diagnose seines Kollegen in allen Punkten bestätigt hatte. Maureen blieb nichts anderes übrig, als der Tatsache ins Auge zu sehen, dass ihre Mutter in wenigen Wochen sterben würde – jetzt, da sie sich so nahe waren wie nie zuvor in ihrem Leben.
S charf und kalt fegte der Wind durch die engen Gassen und bohrte sich wie spitze Nadeln in ihr Gesicht. Fröstelnd zog Maureen sich den Wollschal vor Mund und Nase. Die Kälte trieb ihr die Tränen in die Augen. Maureen stapfte durch den knöchelhohen Schnee, der in die Schuhe eindrang und ihre Strümpfe durchnässte. Sie hatte für ihre Reise nach Edinburgh nur leichte
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