Im Schatten der Vergeltung
reisen bei Sonnenaufgang ab.«
»Ich bleibe hier!«
»Unter keinen Umständen lasse ich das zu.«
»Du kannst mich nicht zwingen«, beharrte Maureen.
»Dann haben wir jetzt wohl ein ernsthaftes Problem.«
»Richtig!«
Sie starrten sich schweigend an. Maureen konnte die Stille kaum ertragen, sie konnte aber unmöglich nachgeben. Es war ausgeschlossen, dass sie ihre todkranke Mutter nach allem, was sie erfahren hatte, in Schottland allein zurückzulassen würde. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich ihrer Mutter nahe, ihnen blieb aber nicht mehr viel Zeit. Vielleicht würde sie ausreichen, damit sie und Laura mit der Vergangenheit Frieden schließen konnten.
Nach Minuten eines spannungsgeladenen Schweigens sagte Philipp schließlich: »Es ist vielleicht sogar eine gute Idee, wenn du vorerst in Schottland bleibst. Selbstverständlich werde ich mich darum kümmern, damit du das Haus weiterhin bewohnen kannst, Sir Gordon wird wohl keine Einwände haben, da er über den Winter ohnehin nicht nach Edinburgh kommen wird. Ich werde auch dafür sorgen, dass es dir finanziell an nichts fehlt.«
»Was willst du damit sagen?«
Maureens Mundwinkel zuckten, nur mühsam hielt sie die Tränen zurück. Sie wusste nicht, wie es geschehen konnte, dass sie und Philipp sich plötzlich derart feindselig gegenüberstanden. Würde er wirklich ohne sie abreisen? In einer Situation, in der sie seine Unterstützung mehr denn je benötigte? Bestimmt würde er es sich anders überlegen, aber seine nächsten Worte machten jede Hoffnung zunichte.
»Es ist viel geschehen, Maureen. Wir sollten uns darüber klar werden, wie es weitergehen soll. Außerdem muss ich Frederica beschützen ...«
»Beschützen? Vor wem? Etwa vor mir?« Maureens Stimme wurde schrill. Fassungslos starrte sie in Philipps abweisendes Gesicht. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Ich habe gewusst, dass du aus einfachen Verhältnissen kommst. Es machte mir nichts aus, weil ich dich geliebt habe, und ich bewunderte stets deine Bemühungen, eine Dame zu werden. Jetzt hat sich jedoch vieles verändert. Diesen Makel deiner Herkunft kann ich nicht einfach ignorieren.« Philipp schlug die Hände vor die Augen. »O Gott, ich weiß nicht, wer der Vater meiner eigenen Frau ist! Weißt du überhaupt, was das für Frederica bedeutet? Ihr Leben ist zerstört, niemals wird ein Mann sie heiraten wollen.«
»Das ist doch nicht die Schuld unserer Tochter«, flüsterte Maureen. »Ebenso wenig wie meine. Wie kannst du mich für die Gräueltaten, die meiner Mutter angetan worden sind, verantwortlich machen? Es wird niemand etwas erfahren, am allerwenigsten Frederica.«
»Maureen!« Philipp packte sie an den Schultern. Hart gruben sich seine Finger durch den Seidenstoff ihres Kleides. »Es ist ein zu großes Risiko, siehst du das denn nicht ein? Unsere Bekannten haben dich als Frau einfacher Herkunft akzeptiert, aber hast du eine Vorstellung davon, was geschieht, wenn jemand erfährt, dass deine eigene Mutter nicht weiß, wer dein Vater ist?«
»Es muss niemand erfahren«, beharrte Maureen.
»Du machst es dir sehr einfach. Dein Vater ist ein englischer Offizier. Weißt du, mit wie vielen ehemaligen Offizieren ich geschäftlich verkehre? Männer, die mich in meiner politischen Arbeit fördern ...« Nervös fuhr er sich durchs Haar. »Ich werde in Zukunft bei jeder Begegnung mit einem Mann, von dem ich weiß, dass er bei Culloden dabei war, fürchten müssen, dem Vater meiner Frau gegenüberzustehen. Wie soll ich damit umgehen?«
»Ich verstehe dich nicht.« Vehement schüttelte Maureen den Kopf. »Der Betreffende kann nichts von seiner Vaterschaft wissen. Laura hat über dreißig Jahre lang geschwiegen.«
»Maureen, du verstehst es wirklich nicht! Allein die Möglichkeit, dass noch jemand Kenntnis darüber hat ... Ich werde immer daran denken müssen.«
»Du, du, immer nur du!« Wütend schleuderte Maureen ihm die Worte entgegen. »Wahrscheinlich erwartest du von mir sogar noch Anteilnahme für deine bemitleidenswerte Situation! Denkst du einen Moment lang daran, was Laura angetan worden ist? Wie ihr Leben, kaum dass es begonnen hatte, auf grausame Weise zerstört worden ist? Ich habe gerade erfahren, dass der Mann, den ich für meinen Vater hielt, überhaupt nicht mein Vater ist. Ich bin nichts weiter als das Ergebnis einer brutalen Vergewaltigung! Interessiert es dich gar nicht, was ich empfinde?«
Philipp seufzte, dann erlosch die Kerze, und Philipps Gesicht lag im
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