Im Schatten der Vergeltung
Woche für Woche den Betrag, den sie für die Haushaltsführung brauchte. Wenn sie sparsam lebte, dann musste sie sich in den nächsten Jahren keine Sorgen machen. Aktienspekulationen waren Maureen suspekt und zu risikoreich, davon würde sie lieber die Finger lassen.
M aureen bereitete für sich und Laura einen warmen Kakao zu und ging zu ihrer Mutter hinauf. Erleichtert stellte sie fest, dass sich Lauras Brust in regelmäßigen Abständen hob und senkte, und in ihre Wangen etwas Farbe zurückkehrt war. Als Maureen sich auf die Bettkante setzte, erwachte Laura. Über ihren Pupillen lag jedoch ein grauer Schimmer, und machte den Eindruck einer Erholung zunichte. Es war unübersehbar, dass ihr Ende nahe war.
»Ich habe uns Kakao gemacht.«
Dankbar nahm Laura die Tasse und nippte an der heißen, süßen Flüssigkeit, dann flüsterte sie: »Nun ist es bald so weit.« Maureen widersprach nicht. Es war zwecklos, Laura und sich selbst etwas vorzumachen. »Du wirst mich wirklich selbst nach Degnish bringen?«
»Ich habe es dir versprochen, Mutter«, erwiderte Maureen mit fester Stimme.
»Wird McLaud dich begleiten?«
Maureen hatte nicht versucht, die Beziehung zu Alan vor ihrer Mutter zu verbergen, denn sie hatte Laura auch Philipps letzte Nachricht vorgelesen. Laura hatte zuerst geschwiegen, dann mit ausdruckslosem Gesicht gesagt: »Lass dich nicht unterkriegen! Zeig ihm und der ganzen Welt, welchen Wert du besitzt!«
Aus diesem Grund machte sie Maureen auch keine Vorwürfe, dass sie ein intimes Verhältnis zu einem Mann, über den sie beide wenig wussten, unterhielt. Laura erkannte, dass die Beziehung Maureen gut tat, auch wenn sie nur eine Flucht vor der Verletzung durch Philipp war.
»Was hast du mit McCorkindale vor?«
Wenn Laura über ihren Vater sprach, nannte sie ihn stets nur ‚McCorkindale’. Maureen konnte es ihr nicht verübeln. Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich werde entscheiden, wenn ich vor ihm stehe. Du bist dir sicher, dass sich das Dokument über den schrecklichen Handel noch auf der Burg befindet?«
Laura nickte. »Außer, er hätte es inzwischen vernichtet, was ich allerdings nicht glaube. Die Angst, eines Tages doch noch als Verräter entlarvt zu werden, ist viel zu groß.«
»Wie alt ist er jetzt?«
Maureen vermied ebenfalls, wenn sie über Archibald McCorkindale sprachen, ihn als ihren Großvater zu bezeichnen. Obwohl sie ihn nicht kannte, empfand sie keine verwandtschaftlichen oder gar warmen Gefühle für den alten Mann.
»Weit über achtzig. Ich war überrascht zu hören, dass er noch lebt. Gott will solche Verbrecher offenbar nicht in seinem Himmelreich haben, und das kann ich ihm nicht verübeln.«
»Aber nicht mehr lange«, murmelte Maureen. Im gleichen Augenblick erschrak sie über ihre unbedacht ausgesprochenen Worte. Sie würde doch nicht wirklich in der Lage sein, einen Menschen zu töten? Fröstelnd schauderte sie, obwohl im Kamin ein wärmendes Feuer brannte.
»Wenn du Hand an ihn legst, bist du nicht besser als er«, flüsterte Laura, die ihre Gedanken erraten hatte. »Du darfst dich nicht mit einem Verbrecher auf eine Stufe stellen!«
Maureen nickte zwar bedächtig, sagte aber gleichzeitig: »Das an dir verübte Verbrechen darf nicht ungesühnt bleiben.«
Lauras Blick verschleierte sich.
»Ein Verbrechen mit einem anderen zu sühnen, kann und darf nicht der richtige Weg sein.« Maureen musste ihr Ohr dicht an den Mund der Mutter legen, um die gehauchten Worte zu vernehmen. »Irgendwann geht jeder Mensch in das Reich ein, in dem eine höhere Macht Rechenschaft und Vergeltung für irdische Taten fordert. All die Menschen, die mein Leben zerstört haben, werden sich vor Gott zu verantworten haben. Er wird eine gerechte Strafe über sie verhängen ...«
Lauras Kopf fiel zur Seite. Schnell tastete Maureen nach ihrer Halsschlagader und stellte erleichtert einen schwachen, aber regelmäßigen Pulsschlag fest. Noch war Laura ihr nicht genommen worden. Noch musste Maureen keine Entscheidung treffen. Auf jeden Fall würde sie jeden einzelnen der Männer, angefangen bei ihrem Großvater, aufsuchen und auf die eine oder andere Art Vergeltung fordern. Wie sie die Schänder finden sollte, wusste sie nicht, aber es würde einen Weg geben, dessen war sich Maureen sicher. Durch ihren Körper floss eine Ruhe, die sie seit Monaten nicht mehr verspürt hatte. Sie hatte wieder ein Ziel. Vor ihr lag eine Aufgabe, für die es sich zu kämpfen lohnte. Wenn es sein müsste, bis zum
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