Im Schatten der Vergeltung
dazu sagen? Sie akzeptieren zwar unsere Beziehung, eine Ehe ist aber etwas anderes.«
Fest zog Alan ihren Körper an sich.
»Was andere sagen, ist mir völlig gleichgültig, ebenso wie dir die Meinung anderer egal ist. Du bist eine sehr starke Frau.«
Zu hören, sie wäre stark, überraschte Maureen, denn sie selbst sah hatte sich niemals als stark gesehen, im Gegenteil. In ihrer Kindheit hatte sie um die Liebe der Mutter gebettelt, war glücklich über die Brocken gewesen, die ihr wie einem räudigen Hund vor die Füße geworfen worden waren. Dann hatte sie sich Philipp angepasst. Hatte sich tagein, tagaus bemüht, so zu werden, wie er sie wollte. Nein, wie Lady Esther sie wollte, berichtigte sie sich in Gedanken. Sie hatte versucht, alles zu tun, ihre Herkunft zu verleugnen und in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Wo war sie selbst in den ganzen Jahren geblieben? Sie war zu einer Frau geformt worden, die nicht ihrem Selbst entsprach.
Angepasst.
Beherrscht.
Distinguiert.
Nach außen hin war sie die perfekte Dame gewesen – Lady Maureen Trenance, Herrin über ein elegantes Anwesen an der cornischen Südküste. Wie es die ganzen Jahre in ihr gebrodelt hatte, hatte niemand geahnt – nicht einmal Philipp. Maureen verachtete sich heute wegen ihrer Schwäche, nicht immer und in jeder Situation sie selbst geblieben zu sein, sondern um die Liebe eines Mannes gebettelt zu haben, der schon vor Jahren ihre Heirat bereut hatte.
Es gab allerdings etwas in ihrem Leben, was all das wert gewesen war: Frederica! Maureens Kehle wurde eng, als sie an ihre Tochter, die sie nie wiedersehen würde, dachte. Sie musste lernen, für die sechzehn Jahre, die sie mit Frederica gehabt hatte, dankbar zu sein, ihre Zukunft aber ohne sie zu gestalten.
A ls Maureen tief und fest schlief, lag Alan wach und dachte über sie nach. Er ahnte längst, dass in ihrem Leben etwas geschehen sein musste, über das sie nicht sprechen wollte. Er hatte seine Worte ernst gemeint. Maureen war die erste Frau – und er hatte in seinem Leben schon viele Frauen gekannt – mit der er sich vorstellen konnte, eine Familie zu gründen. Er spürte aber auch, dass Maureen sich ihm nicht ganz öffnete. Ein Teil ihrer Persönlichkeit verschloss sie vor ihm, nie gelang es ihm, hinter ihre Fassade zu blicken. Gleichzeitig machte das Maureen faszinierend und einzigartig. Alan mochte keine Frauen, die gleich zu durchschauen waren und ihre Lebensgeschichten vor ihm ausbreiteten. Er wusste nicht, was nach Lauras Tod geschehen würde, bis dahin wollte er jeden Moment, den er mit Maureen verbringen konnte, genießen. Das Leben war zu kurz, um sich zu viele Sorgen zu machen.
M aureen hielt die Hand ihrer Mutter, als Laura starb. In den letzten Tagen war der strenge Winter langsam dem Frühling gewichen. Es regnete fast ununterbrochen, die Abende wurden aber zunehmend heller und die Luft milder. Laura hatte mehrere Tage nicht über Schmerzen geklagt und der Husten trat seltener auf, diese scheinbare Besserung war jedoch trügerisch gewesen. Bläuliche Adern schimmerten unter ihrer Haut, ihre Lippen waren farblos und die Augen lagen in dunklen Höhlen. Als Maureen dann mitten in der Nacht von ihrem bellenden Husten geweckt wurde und zu Laura ins Zimmer stürzte, wusste sie, dass es zu Ende ging. Nie zuvor hatte sich der Husten derart bedrohlich angehört. Entsetzt sah sie, wie die Kissen und das Laken blutgetränkt waren.
»Ich hole den Arzt«, rief sie, aber Laura winkte mit letzter Kraft ab.
»Nein, es hat keinen Sinn mehr. Bitte bleib bei mir. Ich ...« Sie zögerte und umklammerte mit erstaunlicher Kraft Maureens Handgelenk. »Es ist so weit, und ... ich habe Angst …«
»Mutter!« Vorsichtig, um ihr nicht wehzutun, nahm Maureen ihre Mutter in die Arme. Sie hatte nicht geahnt, dass es so sehr schmerzen würde. Das Gefühl, als würde ein Stück von ihr herausgerissen, überwältigte sie mit aller Macht. Sanft strich sie Laura das schweißnasse Haar aus der Stirn.
»Nicht weinen, Kind! Ich bin es nicht wert, dass man um mich trauert. Ich habe dir immer nur Leid zugefügt.«
»Nein ...«, wollte Maureen protestieren, aber Laura sprach weiter, obgleich jedes Wort ihr große Pein verursachte.
»Jetzt keine Lügen, Maureen. Nicht, wenn ich gleich der höchsten Macht gegenüberstehen werde. Ich weiß, es ändert nichts an dem, was geschehen ist, ich möchte jedoch, dass du weißt, dass es mir wirklich leid tut. Die letzten Monate haben mir gezeigt, wie ausgefüllt
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