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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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anvertraut zu haben. Johannes wollte schreien, schimpfen, betteln - doch alles, was er herausbrachte, war ein verfluchtes Winseln, das ihm der Fahrtwind augenblicklich brutal von den Lippen riss. Marc legte sich in die nächste Kurve, und er musste sich dem Druck der Maschine beugen. Beinahe schleifte sein Knie auf dem Boden.
    In der nächsten Kurve sah er den Bus. Und er sah Marcs Helmgurt, der haltlos im Wind flatterte. Instinktiv lockerte er den Griff um Marcs Hüften, denn er sah auch das Kiesbett, das sich über den Rand der Kurve ergoss. Was er nicht sah, war, dass Marc das Gaspedal durchtrat. Das hörte er nur.
    Und er hörte auch das grässliche Knirschen, als die schwere Maschine im Scheitelpunkt der Kurve über den Schotter schrammte, ihren aufheulenden Motor, der die schwarzen Reifen in die Luft greifen ließ, die quietschenden Bremsen des Busses vor ihnen, die den Zwanzigtonner blockierten und ins Schleudern brachten. Er hörte den ohrenbetäubenden Knall der Kollision und im nächsten Moment - oder Stunden später - hörte ich nur noch Schreie, Weinen, fassungsloses Geflüster und Sirenen. Ich sah das Vorderrad der Maschine, das sich vor meinen Augen im Leerlauf drehte. Was ich nicht mehr sah, waren Marcs schwarze Locken unter dem Rand seines blauen Helms.
    Ich sah sie nie wieder.
       
     
    Paul hielt mich noch immer mit beiden Armen fest umschlungen,  hatte sich ganz tief heruntergebeugt und einen schützenden Baldachin über meinen bebenden Oberkörper gebildet. Mein Heul- und Schreikrampf dauerte eine Ewigkeit, und ich schämte mich entsetzlich dafür, mit diesen unartikulierten Lauten die heilige Stille hier oben auf den Klippen so brutal zu zerstören. Doch Paul hielt still wie das Meer, wiegte mich in sanften Wellen und blies mir seinen Atem zärtlich über die schmerzende Brust, während er Worte murmelte, die ich nicht verstand, wohl aber erkannte. Er hatte sie schon einmal zu mir gesprochen.
    „A mhuirnín ó an dtiocfaidh tú na bhaile, A mhuirnín ó an dtiocfaidh tú liom ...“
    Damals hatte ich ihren Sinn nicht begreifen wollen; heute konnte ich es nicht. Doch der angenehme, kehlig-dunkle Klang seiner Stimme, der eigenartige Rhythmus dieser fremden Sprachmelodie drangen in mich wie ein klarer, irischer Regenschauer; begannen fortzuspülen, was in mir zerrissen war, reinzuwaschen, was mich verseuchte.
    Erst als mein Puls sich etwas beruhigte, mein Schreien in ein klägliches Winseln und schließlich hilfloses Seufzen überging, richtete Paul sich wieder auf. Sofort umstrich die kühle Nachtluft mein tränenheißes Gesicht. Wir blickten beide aufs Meer hinaus, unfähig, dem eben Erlebten etwas anderes entgegenzusetzen als Schweigen.
       
     
    Irgendwann hörte ich ihn flüstern.
    „Ich möchte gegen den Drachen kämpfen. Mit meinem Schwert. Ich möchte dich endlich aus deinem Turm befreien, mein schöner Prinz.“
    Er sah auf mich herab, und das märchenhafte Licht der Nacht verzauberte ihn für mich tatsächlich in einen kühnen Recken in silbern schimmernder Rüstung.
    Ich blinzelte zu ihm hinauf.
    „Das wird nicht leicht sein, mein edler Ritter. Der Drache ist listig, und er kennt alle Pfade, die zu meinem Herzen führen.“
    Paul blickte noch immer ungerührt und stolz, aber er neigte leicht den Kopf, als er entgegnete: „Es muss doch ein Hintertürchen geben, mein Schöner. Willst du es mir nicht öffnen?“
    Ich hatte keine Ahnung, wie in dieser Situation voll Schmerz und Trauer plötzlich Lust in mir aufkommen konnte, noch dazu auf etwas, das mir bisher immer Unbehagen bereitet hatte. Vielleicht waren es seine Worte, die Art, wie er mir sagte, dass er jetzt und hier mit mir schlafen wollte. Vielleicht war es die Tatsache, dass es unser beider erstes Mal sein würde. Vielleicht aber auch das Bewusstsein, dass er als dominanter Teil die Führung übernahm, während ich ihm als der Passive ausgeliefert sein würde - eine Variante, die ich mir bisher niemals vorgestellt hatte.
    Aber das Verlangen nach ihm kam, ich spürte es deutlich in mir anwachsen mit jedem Millimeter, den auch ich anwuchs. Ich griff langsam nach meinem Hosenbund.
    „Das, mein Edler, hat selbst der Drache noch nicht entdeckt.“
    Jetzt zuckte Paul doch zurück. „Du meinst, du bist - auch noch unberührt?“
    Ich hielt inne bei dem, was ich tat und flüsterte zurück: „Ja, Paul, und bitte hör jetzt nicht auf mit dem Spiel - ich schaffe es sonst nicht.“
    Augenblicklich nahmen seine Züge wieder den

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