Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elio Vittorini
Vom Netzwerk:
vergebens »nein«, als er ankündigt, man brauche auch für hundert Lire Sardellen. Auch das ist entschieden; man braucht sie; und er lacht. Wegen des Weines fragt er unseren Kleinen: »Ich kann mich doch darauf verlassen?« Er erklärt ihm, daß er rot, doch – gegen das Licht gehalten – klar sein soll, als ob er aus seiner Gegend komme.
    »Es wird vielleicht besser sein, daß ich mit ihm gehe«, sagt der Mann meiner Mutter. Und im Weggehen fragt er: »Von welcher Gegend?«
    »Ach, darauf kommt es nicht an!« antwortet der Gast. »Wenn er nur so ist wie der einer bekannten Lage! Nehmt den von eurer Gegend.«

    7

    Für einen Augenblick scheint es, daß er nun ruhig abwarten will, bis der Mann meiner Mutter zurück ist, und er zuckt mit den schmalen Schultern, er friert ganz bestimmt, aber das Lächeln seiner weißen Augen schweif tastend um meines Großvaters Antlitz, und wieder von einem Geheimnis umwoben, lacht er begeistert.
    »Ach!« knüpf er an. »Es kam mir ganz so vor, als müßte mir der Herr hier etwas sagen, – und die Dame hatte es bereits getroffen. Seit wann, Signora?« fragt er.
    »Ich meine, – einer liest sich in seinem Kopfe eine ganze Bibel zusammen, um hinter den Sinn einer Sache zu kommen, und ein anderer kommt hinter eben jenen Sinn durch ein einziges Wort. Es kommt bisweilen vor«, fährt er fort, »daß man uns fragt, ob wir an Gott glauben. Ist das Euch noch nicht passiert? Sicher ist es Euch passiert. Ich stelle mir vor, daß es dem Herrn hier zu Hunderten von Malen passiert sein muß. Er ist wie eigens dazu geschaffen, daß man ihn fragt, ob er an Gott glaubt. So imposant!«
    Er wendet sich an unseren Alten. »Haben Euch nicht eine Menge Leute danach gefragt?«
    Und er läßt ein Weilchen die Hand auf seinem Arme ruhen. »Nur zu! Sie mögen kommen und mich danach fragen – heute, da ich so weit bin. Jetzt könnte ich denen fast antworten. Ob ich daran glaube? Ob ich nicht daran glaube? Als wenn es darauf ankäme! In Frieden lassen ist gut, – heißt aber nicht in Frieden dahingehen. Auch wir haben gesucht, und auch wir müssen Etwas gefunden haben, um in Frieden dahinzugehen.«
    Mit der einen Hand hält er den Arm meines Großvaters und mit der anderen den Arm meines Bruders Euklid, der neben ihm sitzt. »Seht«, sagt er – und hat seine beiden Hände wie Vogelkrallen auf ihren Armen –, »ich verstehe, wie es geschah, daß man in alten Zeiten, im Kindesalter der Menschheit, einmal einen Ochsen anbetete und ein andermal ein Pferd, ein drittes Mal einen Storch und so weiter. Gesucht und gefunden im Wechsel der Zeiten, loste eines das andere ab. Aber nicht war es so, daß man wahrhaf angebetet hätte.
    Es war so, daß die Menschen gewisse Eigenschafen entdeckten, die wir haben, – gewisse Taten von uns; und sie sahen, was für große und wunderbare Eigenschafen es sein konnten – und große Taten von uns. Wie das Pferd! sagten sie. Sie sahen sie auf einmal ebenso in uns, wie sie diese mit Wissen schon lange im Pferde sahen, – und dann zeigten sie auf das Pferd! Da haben wir’s. Es war das Pferd! Aber es war so, daß sie jene Eigenschafen, jene unsere Taten im Pferde aufzeigten. Sie zeigten nicht etwa auf das Pferd an sich.«
    Während er redet, schwindet für keine Sekunde das begeisterte Lächeln aus seinen weißen Augen. Doch merkt man, daß er recht müde spricht; er friert, ist krank. Sicher ist er zu uns hereingekommen, weil er sich elend gefühlt hat, – nicht wegen seiner angeblichen Freundschaf mit dem Großvater.
    Ich leugne nicht, daß er sie dennoch so empfindet, wie er gesagt hat. Aber gewiß hat er Angst gehabt, auf der Straße zu sein mit seinem Leiden, und darum ist er nun hier bei uns, und darum redet er auch – trotz seines Lächelns da oben in seinem Gesicht. Of hält er inne, verweilt lange. Weilt er in Angst? Suchend blickt er umher, und er scheint darauf zu brennen, daß der Wein herbeikommt.
    »Was aber«, setzt er hinzu, »zeigt man uns, um uns Gott zu zeigen? Nicht etwas, das wir an uns selber erfahren könnten. Und ich wollte etwas erfahren, das mir noch nicht als Erfahrung begegnet wäre. Etwas anderes …«
    Jedesmal beginnt er wieder so, als hätte er keine Pause gemacht. Er hat einen Faden, den er nicht verliert.
    »Die Frage können sie uns ja stellen. Ob wir glauben? Ob wir nicht glauben? Aber nicht etwa, wenn es ans Sterben geht. Gebt acht, Ihr«, sagt er zu meinem Großvater. »Sie werden kommen, werden sie an Euch richten, und dann,

Weitere Kostenlose Bücher