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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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in die Wangen – und sie musste unwillkürlich an Jiacinto denken.
    Rebeca starrte sie lauernd an. »Sag bloß, du weißt ebenfalls nichts über diese Dinge?«
    Victoria war es peinlich, es einzugestehen, und fragte deswegen schnell zurück: »Hast du … hast du dergleichen schon mal benutzt?«
    In der Wohnung der Carrizos gingen viele Männer ein und aus, und sie hatte gesehen, wie Rebeca sich ihnen so freizügig und besitzergreifend auf den Schoß setzte oder durch ihre Bärte fuhr, wie sie es oft bei ihren Brüdern tat, aber sie wusste nicht, ob einer von ihnen ihr besonders nahestand.
    »Hast du je einen Mann geliebt?«, fügte sie hinzu.
    Rebeca kicherte. »Pah, Liebe ist nur eine Illusion. Und gib’s zu: Das willst du eigentlich gar nicht wissen. Du möchtest vielmehr wissen, ob ich schon einmal mit einem Mann geschlafen habe.«
    Victoria nickte aufgeregt.
    »Mit mehr als einem …«, gab Rebeca zu. Sie klang weder sonderlich begeistert noch beschämt, als wären Liebschaften etwas so Selbstverständliches wie die kurzen Haare oder das Tragen von Hosen.
    »Und wie hast du verhindert, dass du schwanger wurdest?«
    »Oh, ich wurde schwanger …«
    »Aber …«
    »Ich hatte zwei Abtreibungen.«
    Victoria riss die Augen auf. Auch dieses Thema wurde von Feministinnen diskutiert – die einen forderten das Recht der Frau, es zu tun, die anderen beklagten, dass viel zu viele daran starben, aber sie hatte sich kaum Gedanken darüber gemacht.
    »Oh!«, entfuhr es ihr nur.
    Rebecas Augen wurden plötzlich eiskalt. »Oder denkst du etwa, ich möchte wie meine Mutter enden?«, fragte sie mit harter Stimme.
    »Ich weiß nichts über deine Mutter. Du hast mir nie etwas über sie erzählt.«
    Rebeca zuckte die Schultern. »Da gibt es auch nicht viel zu erzählen. Zumindest nichts Erfreuliches. Mein Vater war Anwalt, aber seine Klienten ausschließlich Arme, die ihm kein ordentliches Honorar zahlen konnten – und mein Vater war so gutmütig, fast immer darauf zu verzichten. Meine Mutter war nicht richtig gesund – und unter den Umständen, in denen wir lebten, wurde es nicht besser. Sie hat ständig Kinder geboren, die meisten tot.« Sie schüttelte den Kopf, und in ihrem Gesicht zeigte sich plötzlich Verachtung, von der Victoria nicht sicher war, wem sie galt: ob dem idealistischen Vater, der Mutter oder den Reichen, denen solche Schicksale gleichgültig waren.
    »Sie ist viel zu früh gestorben. Genau wie mein Vater.«
    Victoria schluckte schwer und musste an ihre eigenen Eltern denken. »Aber wenigstens hast du deine Brüder.«
    Juan … und Jiacinto …
    Ob Rebeca ahnte, was sie für ihn fühlte? Ob sie sich ihr anvertrauen, vielleicht gar ihren Rat erbitten sollte?
    »Ich hätte auch gerne Geschwister gehabt«, sagte sie stattdessen.
    Rebecas Gesicht wurde wieder ausdruckslos. »Es lebt sich tatsächlich leichter mit ihnen als ohne«, meinte sie, »aber nun lass uns …«
    Sie verstummte, als sie erst Schritte hörten, dann Pepes Schnaufen.
    Victoria fühlte sich ertappt. Zwar wusste Valentina mittlerweile, dass sie immer wieder die Druckerpresse bediente, aber Pepe hatte sie es verschwiegen – wohl, weil der sich sonst in stundenlangen Selbstgesprächen darüber erregen würde.
    Als er nun im Hinterzimmer erschien, achtete er jedoch gar nicht darauf.
    »Victoria!«, rief er aufgeregt. »Komm sofort zu Mutter! Sie hat eben eine Nachricht erhalten. Von Aurelia. Es ist etwas Schlimmes passiert.«
    »Mit Aurelia?«, rief Victoria entsetzt, und ihr letzter Streit war augenblicklich vergessen.
    »Aurelia geht es gut, aber die Brown y Alvarados’ wurden von einem schweren Schicksalsschlag getroffen.«

    Valentina hatte offensichtlich gerade am großen Esstisch Platz genommen, um das Mittagessen einzunehmen, als ein Bote Aurelias Nachricht überbrachte. Als Victoria ins Zimmer trat, sah sie, wie sie gerade mit sichtlichem Bedauern, aber doch entschlossen die Suppenschüssel zur Seite schob und aufstand.
    »Wir sollten auf der Stelle zu ihr fahren«, erklärte sie Victoria. »Diesen lächerlichen Streit zwischen euch Mädchen werde ich nicht länger dulden. Ihr seid gemeinsam nach Santiago gekommen, also müsst ihr füreinander da sein. Vor allem in Stunden wie dieser.«
    Die Sorgen, die sich Victoria um Aurelia gemacht hatte, waren eben noch tief und ehrlich gewesen – doch dass ihr Streit mit ihr lächerlich sein sollte, kränkte sie.
    »Was ist denn passiert?«, fragte sie gedehnt und mit einem

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