Im Schatten des Galgens Kommiss
zu ändern. Verfolge aber in Zukunft diese Angelegenheit mit noch größerem Argwohn als bisher, dann läufst du weniger Gefahr, unliebsame Überraschungen zu erleben."
„Thanks für den Rat!" gab Inspektor Keeton leise zurück — um aber danach knurrend hinzuzufügen: „Goddam, das hätte ich mir doch genauer überlegen sollen. Ich sehe jetzt schon die dicken Schlagzeilen vor meinen Augen, mit denen man schon morgen oder übermorgen über mich herfallen wird . . . Inspektor Keeton von Scotland Yard kann geheimnisvollen Anrufer nicht ermitteln! Sorry, oder noch härter werden mir die Burschen von der Presse zusetzen. Waren sie heute noch freundlich zu mir, dann . . . Ach, du kennst ja diese Leute geradeso gut wie ich auch. Wenn die nur irgendeine Sensation wittern, lassen sie kein gutes Haar mehr an uns."
Noch tiefer verstrickte sich Inspektor Ernest Keeton in diesen Gedanken, der ihm alles andere als angenehm zu sein schien. Aber wiederum war es Kommissar Morry, der dem Schwarzseher sein inneres Gleichgewicht wiedergab.
„Abwarten, Ernest", begann er seinen Kollegen auf andere Gedanken zu bringen.
„Vielleicht gelingt es uns, diesen Jean Embroke schon im Laufe des Tages zu ermitteln. Haben wir diesen stark verdächtigen Mann unter unseren Fittichen, kann uns die Presse nichts mehr anhaben. Sie kann und darf dann nicht ihre bissigen Bemerkungen gegen uns Vorbringen. Auch das gehört zu den Grundregeln, nicht in ein schwebendes Ermittlungsverfahren wie ein Elefant in einen Porzellanladen hineinzustampfen."
„Stimmt!" bekam der Inspektor wieder etwas Oberwasser.
„Aber wenn ich dieses Geschmiere über mich verhindern will, dann muß es mir innerhalb der nächsten zwanzig Stunden gelingen, diesen Embroke zu erwischen."
„Well! Allein schon aus diesem Grunde mußt du dich heute noch gewaltig auf die Hinterbeine setzen", bestätigte Kommissar Morry die Worte seines ins Schwitzen geratenen Freundes und lächelte dabei still vor sich hin.
Doch dieses Lächeln sah der Inspektor nicht mehr. Er hätte sich auch gewundert, warum ein Mann, der sich sein Freund nannte, noch lächeln konnte, wo es ihm nicht gerade rosig zumute war. Kommissar Morrys Lächeln hatte dagegen nichts mit etwaiger Schadenfreude zu tun. No — das Gegenteil war der Fall. Genauer gesagt, dachte der Leiter des Sonderdezernats viel mehr daran, daß nun sein Kollege Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um hinter die wirklichen Beweggründe dieses geheimnisvollen Mordes am Limehouse-Pier zu kommen.
Kein Mensch war unfehlbar — das hatte Kommissar Morry zur Genüge und auch an sich selbst festgestellt. Aber aus diesen gemachten Fehlern zu lernen, verstanden nur wenige. Sein Kollege Ernest Keeton jedoch würde sich diesen Fall zu Herzen nehmen; darüber war er sich im klaren, als er wenige Minuten nach dieser Unterredung den Raum Inspektor Keetons verließ, um sich seinem eigenen Wirkungskreis zuzuwenden.
Der zurückgebliebene Officer aber dachte an diesem Morgen nicht mehr an seine wohlverdiente Ruhe, die ihm nach dem Nachtdienst kein Mensch oder auch Vorgesetzter hätte streitig machen können. Er war von dem Willen beseelt, den heimtückischen Mörder des Chinesen zur Strecke zu bringen. Und nach Lage der augenblicklichen Dinge war kein Mensch stärker verdächtig, als Jean Embroke . . .
Er war der letzte, der mit dem Toten zusammengetroffen sein konnte. Er war unter einem mutmaßlich falschen Namen in London untergetaucht. Schon allein diese beiden Gründe gaben bei Inspektor Keeton den Ausschlag, die raumumspannende Fahndung mit noch mehr Intensität wie bisher nach Jean Embroke aufzunehmen.
So jagten wenige Augenblick nach Kommissar Morrys Fortgang Zusätze zum Ersuchen der letzten Nacht an alle Police-Einheiten und Streifenwagen. Alle verfügbaren Kräfte, die Inspektor Ernest Keeton an diesem Morgen auftreiben konnte, machten sich in allen Stadtteilen der Riesenstadt auf die Suche nach Jean Embroke — dem abgeheuerten Steuermann der Susanne. Die Jagd auf ihn begann.
*
Als habe er Derartiges geahnt, als befürchte er wirklich ein Zusammentreffen mit der Police — genauso benahm sich Jean Embroke an diesem Tage. Nicht nur, daß er sich in einem schmutzigen, verrufenen Hotel am St. Katharine-East-Basin, in dem man nicht nach der Herkunft und nach dem Namen des betreffenden Gastes fragte,
einquartiert hatte, ließ sein Benehmen sonderbar erscheinen. Sondern er tat noch ein weiteres, um seine Person vor dem
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