Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
ist abgesoffen. Fast hätte es mich auch erwischt. Doch der Herrgott hatte ein Einsehen. Noch einmal fahren, hieße ihn herauszufordern.«
Ein heftiges Husten schüttelte den Zimmermann. Sicher will er über den Schiffsuntergang sprechen, dachte Moritz. Ob er nachts davon träumt?
»Ist der Segler im Orkan gesunken?«, fragte er.
»Wir hatten Sturm, ja, doch der Wind war nicht das Problem. Viel schlimmer war, dass der Kahn leckte wie ein Sieb. Dabei war es ein neues Schiff, auf der ersten Reise.«
»Wie kann so etwas passieren?«
Der Zimmermann griff nach seinem Messer und schnitt ein neues Stück Tabak von der Platte ab. »Es wurde aus frischem Holz gezimmert, das war die Schweinerei. Man nimmt immer abgelagertes Holz im Schiffbau. Immer! Aber frisches Holz ist billiger.«
»Ich verstehe den Unterschied nicht.«
Hinrich Quast schaute Moritz erstaunt an und schüttelte den Kopf. »Holz schrumpft durch Lagerung. Wenn man es verzimmert und das Schiff zu Wasser lässt, quillt es auf und verschließt die Ritzen zwischen den Planken. Frisches Holz tut das nicht.«
»Merkt man das nicht schon im Hafen?«
»Eigentlich ja. Doch auf diesem Schiff waren noch die Zimmerleute von der Werft an Bord. Die haben das eingedrungene Wasser nachts abgepumpt. Und keiner von denen hat uns gewarnt.«
Hinrich Quast schaute die Elbe hinunter. Irgendwo, in weiter Ferne, war das Meer. »Als wir Cuxhaven quer hatten, mussten wir bereits pumpen. Doch da hofften wir noch, dass es bald weniger wird. Bei den Ostfriesischen Inseln kamen wir kaum noch gegen das Wasser an. Der Kapitän dachte, dass wir es noch bis Emden schaffen, aber vor Borkum kam Sturm auf. Wir wollten das Schiff auf den Strand setzen, um uns zu retten. Doch dann sind wir draußen auf dem Riff hängengeblieben.«
Der Zimmermann starrte Moritz an, sein Blick flackerte. Mit einer wütenden Bewegung griff er nach seinem Finndolch. Das Messer zischte durch die Luft, drang tief in ein Brett ein und blieb dort zitternd stecken. »Alle sind ertrunken, nur ich nicht. Wir hatten gute Matrosen an Bord, auch ein paar Freunde von mir. Doch das war nicht das Schlimmste. Wir Seeleute wissen, dass uns die See über kurz oder lang erwischt, das ist Seemannslos.Aber die Passagiere taten mir leid. Es war wirklich schade um die. Um die Frauen und besonders um das Kind.«
Jetzt schauten beide auf die Elbe hinaus.
»Hat man die Verantwortlichen wenigstens bestraft?«
»Bestraft?« Der Zimmermann zerrte wütend an seinem Messer. »Der Schiffbaumeister hat alles abgestritten. Hat behauptet, das Schiff wäre zu schwer beladen gewesen. Man konnte ihm das Gegenteil nicht beweisen. Dazu hätte man das Schiff heben müssen. Aber das ging nicht, dazu liegt die K ONSUL H AGEMEISTER zu tief.«
Familie Forck hatte Besuch. Der Schauermann aus dem Herrengraben war vorbeigekommen: gewaschen und rasiert. Seine Tochter trug das Kleidchen, das Herta Forck genäht hatte. Auch sie hatte sich verändert, sie schien nicht mehr so dünn zu sein.
Jan schnupperte vorsichtshalber an beiden. »Stinken nicht«, sagte er anerkennend.
Angesichts der Größe des Quartiersmanngesellen verkniff sich der Schauermann eine Entgegnung, obwohl es ihm sichtlich schwerfiel. Stattdessen krempelte er das linke Hosenbein hoch und zeigte stolz sein verletztes Bein.
»Fast verheilt«, sagte Herta Forck zufrieden, »du hast eine gute Heilhaut.«
»Liegt nich an mir. Sind die Salben von der Kräuterfrau.«
»Hab ich doch gesagt, dass die mit solchen Wunden umgehen kann.«
Der Schauermann streifte das Hosenbein wieder herunter. »Die is gar keine Hexe. Die is richtig nett.«
Herta Forck spitzte den Mund und blinkerte mit den Augen. »Sie ist wohl doch eine Hexe. Sie hat dich verhext, aber anders, als du gedacht hast.«
Schnell wechselte der Schauermann das Thema.
Moritz wälzte sich auf die eine Seite, dann auf die andere. Es nützte nichts. Wie er auch lag, immer drückten Jans Beine gegenseinen Rücken oder gegen den Bauch. Lange werden wir nicht mehr zusammen schlafen können, dachte er wieder einmal. Und dann dachte er an Roger, an die schwarzen Männer und auch ein bisschen an den toten Elbrand.
Weit war er wirklich nicht gekommen mit seinen Nachforschungen. Der Dank der Kaufmannschaft schien in weite Ferne gerückt, ebenso die Bewunderung von Cäcilie. Roger hatte offensichtlich nichts mit dem Mord zu tun, und die schwarzen Männer auch nicht. Nun war er so schlau wie am Anfang, und es war kein Trost, dass auch
Weitere Kostenlose Bücher