Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
liegen, vielleicht aber auch an der dunklen Kleidung der Männer.
Je weiter Moritz wanderte, desto mehr breitete sich ein beklemmendes Gefühl in ihm aus. Dazu trug sicherlich der moderige Geruch bei, der den mittelalterlichen Häusern entströmte, aber auch der Unrat in den Ecken und Winkeln. Als sich in einem Hof ein lautes Kreischen erhob, zuckte Moritz zusammen. Sicherlich waren es nur Katzen, doch inzwischen ließ ihn jedes Geräusch zusammenfahren, und unbekannte Geräusche gab es mehr als genug.
Noch kann ich umdrehen, dachte er, zurück zum Binnenhafen laufen, an die frische Luft, zum Licht. Doch wie unter Zwang ging er weiter.
Ein plötzliches Gefühl von Gefahr ließ ihn herumfahren. Am Eingang des düsteren Hofs, den er gerade passiert hatte, zeigte sich kurz eine Gestalt, verschwand jedoch sofort wieder. Das war nicht ungewöhnlich, allenthalben erschienen Leute, um sich gleich wieder aufzulösen, doch kurze Zeit später sah er diesen Mann wieder. Es war nicht der gleiche, der ihm vor einigen Tagen bei den Baumstämmen aufgelauert hatte, dieser hier war kleiner und seine Bewegungen geschmeidiger. Moritz hatte das Gefühl, den Schatten im Dunkeln schon einmal gesehen zu haben, doch er konnte sich nicht erinnern, wo es gewesen war. Unabhängig davon wusste Moritz: Er wurde verfolgt, das war eindeutig. Er musste weg von hier. Aber wohin? Zurück in die helleren Straßen konnte er nicht, der Verfolger versperrte ihm den Rückweg. Also Flucht nach vorn. Nicht rennen, sagte er sich, wenn ich renne, kommen die dunklen Gestalten aus allen Gängen und Höfen, und dann rennt der Schatten auch.
Die Gasse endete an einer Querstraße. Links oder rechts? Moritz schaute zurück. Der Mann hinter ihm machte sich inzwischen nicht einmal mehr die Mühe, sich zu verbergen. Er lehnte im Schatten eines Hauses und wartete. Eine gefährliche Anspannung ging von diesem Warten aus, wie vor einem schnell geführten Angriff. Moritz kämpfte die in ihm aufsteigende Panik nieder.
An der Straßenecke blieb er kurz stehen, dann schwenkte er nach links. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, arglos zu wirken, doch kaum war er um die Ecke, stürmte er los. Er tauchte in den nächsten Gang ein, rannte zwischen den engstehenden Häusern hindurch, verließ den Gang auf der anderen Seite, hetzte in einen dunklen Hof und auf der anderen Seite wieder hinaus.
Schließlich wusste er nicht mehr, wo er war, er hatte jede Orientierung verloren. Es war ihm jedoch gelungen, seinen Verfolger abzuschütteln. Das beruhigte, zumindest eine Zeit lang.
Der Hof, in den er jetzt geraten war, hatte keinen Ausgang. Moritz wollte wieder zurückgehen, doch seine Beine waren mit einem Mal seltsam schlapp. Er stand vor einer schlecht beleuchteten Schänke, vielleicht einer dieser »Verbrecherkeller«, von denen Jan einmal gesprochen hatte. Das Grölen von Betrunkenen und der schrille Klang eines Schifferklaviers drangen dumpf durch die geschlossene Tür.
»Hast du dich verlaufen, Kleiner?«
Moritz machte vor Schreck einen Satz nach vorne. Gehetzt blickte er sich um. Hinter ihm an der Hauswand lehnte eine Frau. Sie musterte ihn böse.
»Was machst du hier? Es ist dunkel. Keine Zeit für Kinder, sich draußen rumzutreiben. Wenn ich deine Mutter wäre, würde ich dir den Hosenboden strammziehen.«
Wirklich gefährlich sah die Frau nicht aus. Sie hatte eine dunkle Stimme, obwohl sie nicht sehr alt sein mochte, auf keinen Fall so alt wie seine Mutter. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt. Es sah aus, als würde sie mit einem Auge zwinkern, aber das lag wohl eher daran, dass ein Augenlid geschwollen war. Was sie anKleidung anhatte, verschlug Moritz den Atem. Es schien ihm vornehme Unterwäsche zu sein, jedenfalls glaubte Moritz, dass vornehme weibliche Unteräsche so aussehen musste. Sie unterschied sich erheblich von dem, was zu Hause im Hof über den Leinen hing.
Die Frau rückte an ihn heran. Ein süßer, aufdringlicher Geruch schlug ihm entgegen. »Sag schon, was du hier willst, Kleiner.« Sie zog die Unterwäsche vor der Brust zusammen. »Aber sag nichts Falsches. Sag nicht, dass du eine Frau brauchst, in deinem Alter. Sonst scheuer ich dir eine.«
Er musste etwas sagen, sich schnell etwas einfallen lassen, sonst langte sie tatsächlich zu. Oder schrie den ganzen Hof zusammen, was noch schlimmer wäre. Schweiß stand ihm auf der Stirn, es fiel ihm beim besten Willen keine Ausrede ein.
Er versuchte es mit der Wahrheit. »Ich suche jemanden.«
»Hier im
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