Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
mit einer Hand an der Wand. Mit einem Mal trat er ins Leere, fast wäre er die Stufen hinuntergestürzt. Ein Keller, die Kellerklappen standen offen. Moderig kalte Luft schlug ihm entgegen. Die Rettung? Nein, eine Falle. Sie würden ihn im Keller aufspüren und wie eine Ratte im Loch erschlagen.
Langsam tastete er sich weiter. Die Kellerklappen fühlten sich überaus stabil an, sie waren aus festem Holz gezimmert. Man hatte sie zur Hauswand umgeklappt, aber sie standen etwas ab. Der Spalt war zwar nur schmal, doch ein Junge wie er konnte sich zur Not hineinzwängen und sich zwischen Wand und Klappe verstecken. Wahrscheinlich würden ihn die Verfolger irgendwann entdecken, aber er könnte zumindest Zeit gewinnen.
Da, Schritte im Hof.
Katzengleich schob sich Moritz zwischen eine der Klappen und die Hauswand. Dort stand er mit weichen Knien und atmete flach. Die Schritte kamen näher, verharrten, entfernten sich, kamen zurück. Moritz hielt die Luft an. Der Mann blieb vor dem Kellereingang stehen. Er scharrte mit den Füßen. Scheinbar war er unschlüssig, ob er in den dunklen Keller hinuntersteigen sollte. Hoffentlich kommt er nicht auf die Idee, die Kellerklappen zuzuschlagen, dachte Moritz, das wäre das Ende.
Weitere, schwerere Schritte näherten sich. Es klang nach genagelten Sohlen. Das muss der Zweite sein, dachte Moritz. Nun suchen sie mich gemeinsam. Gleich haben sie mich.
Plötzlich waren keine Schritte mehr zu hören. Stattdessen herrschte eine bedrohliche Stille. Dann Getrampel, hastige Bewegungen, schnelle Schritte zur anderen Hofseite und wieder zurück. Die beiden Männer schienen sich im Gleichtakt zu bewegen. Wieder ein Moment Stille, dann heftiges Atmen, Keuchen, ein dumpfer Schlag, als hätte jemand einen Hieb bekommen. Nicht weit von seinem Versteck entfernt hörte Moritz, wie die beiden Männer miteinander rangen. Er vernahm das Scharren von Schuhen und das Klatschen von Faustschlägen. Einer stöhnte auf. Die Gegner schienen gleichwertig zu sein, der verbissene Kampf zog sich hin. Plötzlich ein Aufschlag, der Erdboden unter Moritz vibrierte. Einer der Männer war direkt vor der Kellerklappe zu Boden gegangen. Er würgte, griff nach der Klappe und zog sich daran hoch.
Von der anderen Seite des Hofs hörte Moritz einen wüsten Fluch, gefolgt von einem seltsamen Schwirren in der Luft. Dann ein Aufschlag und eine Art Knall. Etwas war in die Kellerklappe eingedrungen und blieb im Holz stecken. Moritz’ Herz schlug bis zum Hals. Der Mann, der sich gerade noch an die Kellerklappe gelehnt hatte, stieß sich ab und rannte Richtung Theilfeld. Die genagelten Sohlen folgten ihm.
Moritz wartete lange, sehr lange. Erst als er sich sicher war, dass ihn seine Beine tragen konnten, verließ er das Versteck. Niemand lauerte in einer Ecke, keiner schaute aus dem Fenster. Der Hof lag still wie zuvor, und doch hatte sich etwas verändert. Ein schmaler Dolch steckte in der Kellerklappe, die Spitze war tief ins Holz eingedrungen.
Da die Männer Richtung Theilfeld gelaufen waren, rannte Moritz in die entgegengesetzte Richtung. Mit einem Mal wurde er langsamer und blieb schließlich stehen.
Diesen Weg sollte ich nicht nehmen, dachte er, der führt wieder ins Gängeviertel, zu der Frau und dem Dicken mit den Hosenträgern. Er musste den Durchgang zum Theilfeld nehmen. Das war gefährlich, doch es nützte nichts, wollte er nicht die ganze Nacht hier im Hof sitzen.
Moritz zögerte kurz, dann kehrte er um. In der Kellerklappe steckte noch immer der Dolch. Ein Messer konnte die Rettung sein. Er wusste zwar nicht, wie man sich mit einem Messer verteidigte, doch allein der Gedanke beruhigte ihn.
Moritz zog an dem Messer, es bewegte sich nicht. Er zerrte daran. Nichts. Der Dolch steckte einfach zu tief im Holz. Schließlich, nach vielen Versuchen, lockerte er sich.
Der Griff lag gut in der Hand, die schmale Klinge leuchtete geheimnisvoll im Licht der Sterne.
Wie jeder Junge war Moritz begeistert von Messern, doch er hatte noch nie ein eigenes besessen. Als Kontorlehrling brauchte man kein Messer, und das kleine Federmesser, das Harms benutzte, um die Bleistifte zu spitzen, verdiente in Moritz’ Augen nicht die Bezeichnung »Messer«. Dies hier war keines dieser plumpen Arbeitsmesser, wie es die Matrosen am Gürtel trugen, dies war eine schmale, tödliche Waffe. Moritz strich andächtig an der stumpfen Seite der Klinge entlang und über den flachen Stahl. Eine unbekannte Kraft strömte in seinen Arm, erreichte sein
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