Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Herz und breitete sich im ganzen Körper aus. Jetzt konnte der Mörder kommen, er, Moritz Forck, würde ihm furchtlos entgegentreten.
Mutig schritt er durch den Durchgang, doch der Elbrandmörder stellte sich ihm nicht entgegen, bedauerlicherweise.
Auf dem Theilfeld zögerte Moritz. Mit der Waffe in der Hand konnte er wohl nicht durch die belebten Straßen gehen. Er verbarg den Griff im Jackenärmel und umfasste die Klinge vorsichtig mit der Hand. So hatte er das Messer schnell zur Verfügung. Mit aufrechtem Gang und forschem Schritt ging er zum Herrengraben, sich dabei leicht in den Hüften wiegend, wie es die Seeleute taten.
23
Moritz hatte schlecht geschlafen. Die ganze Nacht hatten ihn die Gedanken an dicke Männer und lauernde Schatten wach gehalten und die kurzen Schlafphasen zur Tortur gemacht. Irgendwann hatte Jan ihn getreten und »Ruhe geben« gebrummt. Daraufhin war Moritz auf die Küchenbank umgezogen, doch auch dort lag er bis in die frühen Morgenstunden wach.
Als er aufstehen musste, fühlte er sich wie zerschlagen. Das war jedoch nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war die Angst. Es war nicht die Furcht, die er verspürte, wenn es bei einem Gewitter draußen donnerte und blitzte. Nein, er hatte schreckliche Angst um sein Leben.
Vielleicht lauert der Mörder unten im Hof, um mich umzubringen. Und nicht nur mich, sondern auch Jan und Mutter und Vater. Aber mich zuerst, denn ich bin der Kleinste und außerdem habe ich ihn gesehen. Wenn auch nicht sein Gesicht, so doch zumindest seine Gestalt.
Grübelnd saß er über seinem Brei. Irgendwie musste er die Familie warnen, ohne zu sagen, wo er am vergangenen Abend gewesen war.
»Ich glaube, da hat mir einer aufgelauert. Unten am Hafen.«
Der Vater und Jan hörten auf zu kauen, und die Mutter, die am Herd stand, drehte sich erschrocken um.
»Wer?«, fragte Johann Forck scharf.
»Ich habe ihn nicht erkannt. Es war immer nur ein Schatten.«
Den Rest des Frühstücks hielt Familie Forck Kriegsrat – mit ernsten Gesichtern und in niedergedrückter Stimmung.
»Wir könnten zur Polizei gehen«, sagte Herta Forck.
»Was willst du denen schon erzählen?« Johann Forck blickte ärgerlich. »Dass Moritz einen Schatten gesehen hat, von dem er nicht einmal weiß, wie er aussieht? Das taugt nichts.«
»Vielleicht solltest du nicht mehr zu Kapitän Westphalen am Steinhöft gehen«, meinte Jan.
»Wenn der Patron mich dort hinschickt, kann ich das nicht ablehnen.«
Der Vater überlegte angestrengt, wie er seine Familie schützen konnte, doch es fiel ihm nichts wirklich Hilfreiches ein. Schließlich machte er ein paar Vorschläge, die zumindest die Nerven beruhigten. »Wir sollten uns möglichst wenig im Freien aufhalten und nur dort hingehen, wo viele Menschen sind. Wir werden jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit nehmen. Wenn einer aus dem Haus geht, immer vorher den Hof beobachten, ob da jemand lauert.«
»Ich habe keine Angst«, sagte Jan.
»Angst kann nie schaden«, widersprach der Vater, »Angst macht aufmerksam. Außerdem hat der Kerl ein Messer.«
»Ich habe auch ein Messer.«
Die schweren Türklappen in der Wand waren geschlossen, doch durch die seitlichen Fenster fiel ausreichend Licht in den Speicher in der Großen Reichenstraße. Cäcilie riss an dem Riegel, der die Klappen sicherte. Er war lange nicht bewegt worden und klemmte. Moritz musste mit anfassen. Gemeinsam bekamen sie den schweren Metallbügel schließlich hoch. Sie stemmten sich gegen die Klappen, die schwergängig waren, in ihren Halterungen quietschten und nur widerstrebend Licht und Luft hereinließen. Cäcilie beugte sich vor, blickte in das Fleet hinunter und erschauderte. Schnell hielt sie sich am seitlichen Griff fest.
»Oh, ist das hoch hier.«
Moritz zuckte mit den Schultern. »Das ist nun mal so, wenn man auf dem dritten Boden steht.«
Neugierig blickte er sich um. Das war also Cäcilies Zimmer. Der Raum war groß, sicherlich so groß wie die gesamte Wohnung der Forcks in der Holländischen Reihe. Allein die Tatsache, dass man als Kind über ein eigenes Zimmer verfügte, erschien Moritz der Gipfel des Luxus’, doch dass es so groß war, übertraf seine Vorstellungen. Licht strömte durch die geöffneten Klappen und tauchte das Zimmer in einen honigfarbenen Glanz, der sich mit Cäcilies Frühlingsblumenduft zu mischen schien.
So muss das Paradies sein, dachte Moritz, so friedlich und gut duftend. Hier bräuchte ich keine Angst vor dem Mörder zu haben. Dieser
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