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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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weiter überprüfen können. Sie werden nichts Brauchbares finden, aber so haben Sie wenigstens etwas zu tun. Dann können Sie die Leichen anständig obduzieren und danach beseitigen. Hier im Parkhaus ist nichts vorgefallen. Sie haben nur den Wagen hier abgestellt.«
    Golkos Augen haben sich zu Schlitzen verengt. Er ist immer noch sauer, aber ich glaube, er hört mir zu.
    »Überprüfen Sie das Navigationssystem und informieren Sie mich, wohin genau Dubinin in Wladimir gefahren ist.«
    Unser Verteidigungsministerium hat das Globale Navigations-Satelliten-System, genannt GLONASS, für militärische Zwecke entwickelt, aber der Mercedes hat wahrscheinlich ein einfacheres GPS-System. Ich glaube kaum, dass der General Geld ausgegeben hat, um es auszuwechseln; vielleicht hat er das Programm auch deaktiviert, damit der Fahrer nicht ausfindig gemacht werden kann.
    Golko macht sich wieder Notizen.
    »Melden Sie sich wegen des Eis im Wagen und der Zahlen im Kofferraum. Und wegen allem, was Sie sonst noch für wichtig halten.« Ich gebe ihm meine Handynummer. »Und passen Sie auf diesen Kommandanten auf.«
    »Sie wollten ihn erschießen. Er hat es Ihnen angesehen. Wir alle haben das.«
    Ich klopfe ihm auf die Schulter und gehe in Richtung Treppenhaus.
    »Herr Oberst, der General sagt, Sie sollen mich auf dem Laufenden halten!«, ruft er mir nach.
    Ich laufe die Treppen hinunter und denke an Hauptmann Dubinin. Er hat die Gefahr als Teil seiner Arbeit akzeptiert, als Charakteristikum des Lebens in der Elitetruppe des Generals. Und ich bin sicher, dass er einen heldenhaften Tod starb und bis zu seinem schrecklichen Ende treu seine Befehle ausführte. Als ich unten bin, ist der Kloß in meinem Hals einem Grauen in der Magengrube gewichen.
    Ich werde den Gedanken nicht los, dass Dubinins Tod vielleicht in einem ganz anderen Zusammenhang steht als dem vom General vermuteten. Der Mörder hat eine Nachricht in Blut hinterlassen, und ein Mann, der so etwas tut, hört nicht von allein auf – man muss ihn stoppen. Aber schlimmer noch ist die Erinnerung, die die starrenden Augenhöhlen des Hauptmanns in mir hervorgerufen haben, eines jener Echos des Krieges, die nicht verblassen, egal, wie sehr ich versuche, sie zu vergessen.
    Die Geschichte wurde mir vor fast vier Jahren von einer Mutter erzählt, deren Gesicht von Trauer gezeichnet war. Ich lag damals noch im Militärkrankenhaus auf dem Moskauer Luftwaffenstützpunkt Schukowski, und mein linkes Bein endete unter dem Knie in einem verbundenen Stumpf. Aber ich musste arbeiten, egal, was. Ich wollte das Gefühl haben, nützlich zu sein, und ich wollte vergessen, was passiert war. Also gab mir der General einen Schreibtischjob, bei dem ich die Fragen von Verwandten der in Tschetschenien gefallenen Soldaten beantwortete. Vielleicht war es seine Art, mich daran zu erinnern, dass ich zu denen gehörte, die Glück gehabt hatten.
    »Warum hat mir niemand geholfen, meinen Sohn zu finden?«, fragte sie mich immer wieder, während sich ihre frühzeitig gealterten Augen suchend auf mein Gesicht richteten. »Ich habe die Verantwortlichen angefleht. Ich habe Briefe geschrieben, sogar an die separatistische Regierung.«
    Wir befanden uns in einem offenen Hangar mit Dutzenden von gegen die Wand geschobenen Tischen. An jedem davon saß jemand, dessen Aufgabe es war, Geschichten aufzunehmen, damit irgendwo ein weiterer Aktenschrank mit Berichten vollgestopft werden konnte, die nie jemand lesen würde. Schreibmaschinen und Tastaturen klapperten, Telefone klingelten und Funkgeräte plärrten, alles vermischt mit dem Getöse zahlloser Stimmen.
    Die Menschen, die an den Tischen Platz nahmen, verlangten nach Antworten – in meinem Fall eine Frau, die wissen wollte, was mit ihrem Sohn geschehen war, einem Jungen, der im Frühling ‚03 im Kriegsgebiet verschollen war. Keine Briefe, keine Nachrichten, monatelang. Seinem Befehlshaber zufolge war er einfach verschwunden.
    »Irgendwann schrieb mir schließlich ein Arzt aus einem Krankenhaus in Gudermes zurück«, erzählte sie, wobei sie, ohne es zu merken, mit dem Oberkörper vor und zurück schaukelte und auf ihrer Unterlippe herumkaute. »Er sagte, ich solle in Rostow nach ihm suchen. Dort gäbe es ein spezielles Leichenschauhaus, wo Tote aufbewahrt würden, die nicht identifiziert wurden.«
    Sie hustete Schleim in ihr Taschentuch und versuchte, das Gesicht hinter ihren Händen zu verstecken. Ich sah weg, unfähig zu erklären, warum wir unsere Kinder in den

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