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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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Quadratmeter von der Erinnerung an sie durchdrungen war.
    Es ist kurz nach Mitternacht, obwohl es sich anfühlt, als wären weit mehr als fünf Stunden vergangen, seit ich mit dem Hubschrauber in die Nachwehen der ersten Explosion am AMERCO-Gebäude geflogen bin. In den Straßen ist es beunruhigend still. Sogar die Freunde des Moskauer Nachtlebens scheinen eine Auszeit genommen zu haben.
    Das Café ist zu, vorzeitig geschlossen. Ich gehe durch einen schmalen Gang zum Hintereingang. Die umgedrehten Stühle auf den Tischen strecken ihre spinnenartigen Beine in die Luft. In der Ecke hinter dem Resopaltresen liegt ein kleines Kämmerchen, in das Vadim sich manchmal zurückzieht. Darin befinden sich ein voll geladener Tisch, ein an der Wand angebrachtes Drehscheibentelefon, an das er nur selten geht, und ein abgeschlossener feuerfester Aktenschrank, alles in einem Raum, der zu klein ist, um Liegestütze darin zu machen. Ich lasse die Einwegkamera auf dem Tisch zurück, zusammen mit einer Notiz, einer der Techniker unserer Pornofilmproduktion möge den Film entwickeln.
    Danach gehe ich eine Treppe nach unten in den Keller. Schwarzer Schieferboden, Regale voller Kram aus dem Café und zwei Reihen verstaubter Spielautomaten führen zu einem Holzstuhl und einem Schreibtisch, die mir als Büro dienen. Der Tisch ist fast immer leer. Wenn ich einen Computer oder irgendein anderes Gerät brauche, kann ich auf das hypermoderne Equipment in meinem Lagerhaus zurückgreifen.
    Heute Abend klebt ein zusammengefalteter gelber Zettel an der Rücklehne des Stuhls. Darauf sind zwei Nachrichten in Vadims eckiger Handschrift gekritzelt. Die erste lautet lediglich »Mascha anrufen«. Mascha ist eine alternde Babuschka, amputiert wie ich, die mir eine Freundin und Vertraute geworden ist wie kein anderer Mensch in meinem Leben, außer Valja. Ich besuche sie regelmäßig, wann immer mir danach ist. Sie hat mich noch nie angerufen.
    Die zweite lautet: »BM hat angerufen, will ein wichtiges Blueskonzert sehen.« Dahinter steht eine Moskauer Telefonnummer, wahrscheinlich von der amerikanischen Botschaft.
    Vadim wird keine Ahnung gehabt haben, was das Wort Blues bedeutet, aber mir ist die Nachricht vollkommen klar. BM ist Brock Matthews, ein NSA-Mann aus Washington, wir hatten bereits miteinander zu tun. Er sieht fast aus wie ein Filmstar, wären da nicht seine schiefe Nase und ein undefinierbar nervöses Auftreten. Ein Absolvent der Marineakademie und Football-Quarterback an seiner Schule, wie er mir erzählte. Er war Pilot und Veteran des ersten Irakkriegs, bevor er für den amerikanischen Geheimdienst zu arbeiten begann; wahrscheinlich Schattenkrieger in Afghanistan und auch im zweiten Irakkrieg, obwohl das aus den Akten des Generals nicht hervorgeht. Matthews nahm mich eines Abends mit zu einem unvergesslichen Blueskonzert – meinem ersten – während einer einwöchigen »gemeinsamen Geheimdienstübung« unserer beiden Länder im Jahr 2004, bei der keine der beiden Seiten sich sonderlich bereit zu einer Zusammenarbeit zeigte.
    Ein dringender Anruf von Matthews nach einem Terroranschlag auf ein amerikanisches Gebäude in Moskau ist keine allzu große Überraschung. Viele Leute wissen, dass sie mich hier erreichen können, obwohl nur Vadim weiß, dass ich inzwischen hier wohne. Der Anruf von Mascha ist schon eher beunruhigend, aber es steht nicht dabei, dass es dringend sei, also beschließe ich, bis zum Morgen zu warten, statt sie jetzt noch zu wecken.
    Ich lege den Zettel weg und gehe zu einer zerschrammten Eichentür. Dahinter liegt mein neues Zuhause, ein kleiner Raum mit einem tropfenden Waschbecken, einem Feldbett, einer Kochplatte und einer rudimentären Dusche. Alles, was ich brauche, jetzt, wo Valja nicht mehr da ist. Von der Decke hängt ein Seil an einer ausziehbaren Treppe, die zu einem unbenutzten Heizungsraum führt, mein Fluchtweg für den Notfall.
    Ich habe mich schon vor Monaten über die kaiserlichen Ostereier informiert, nachdem der General mich zum ersten Mal danach gefragt hat, aus reiner Neugier. Die Bücher, die ich gekauft habe, stehen in einer Reihe unter meinem Bett. Ich schlage eins auf, blättere zu der Seite mit dem Ei mit Henne im Korb und dem Saphir-Anhänger und setze mich mit dem Rücken gegen die raue Steinwand auf mein Bett. Auf einer Abbildung des Dokuments, mit dem die Produktion des Eis in Auftrag gegeben wurde, ist eine handschriftliche Notiz zu erkennen: »Bezüglich der vom Juwelier Fabergé ausgeführten

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