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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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kommt aus der Dunkelheit des tiefen Stahl-Beton-Studios auf mich zu. Sie trägt ein weißes Männer-T-Shirt, das sich hebt und ihre schlanken Hüften streift, als sie die Arme über den Kopf streckt und gähnt.
    Normalerweise wäre um diese Zeit das Studio hell erleuchtet und von den Aktivitäten mehrerer gleichzeitig gedrehter Filme durchdrungen. Die Sets reichen von kunstvollen ägyptischen Palästen und indischen Harems bis zu einer hingeworfenen Matratze mit einem blauen Tuch als Hintergrund. Kabel liegen auf dem Boden festgeklebt wie gefangene Schlangen. Aus kleineren Räumen abseits des Hauptbereiches werden Live-Sex-Video-Einspielungen auf die Festplatten von Voyeuren in der ganzen Welt übertragen. In anderen Bereichen stehen massenweise Computer, normalerweise besetzt von Hackern, die einem Teil der Kunden, die dumm genug sind, unsere Dienste mittels ungesicherter Zahlungssysteme abzurechnen, die Identität stehlen.
    Alla leitet all diese Unternehmungen mit eiserner Faust, indem sie jede Nacht einen komplizierten logistischen Tanz vollführt und Darsteller, Crews, Film – und Computerequipment und Personal, Security und Finanzen choreografiert. Sie ist vielleicht dreißig Jahre alt, ein paar Jahre jünger als ich, aber ich ziehe sie gern damit auf, dass sie, wenn sie in London oder Los Angeles geboren wäre, schon lange ein berühmter Filmmogul wäre.
    Sie streckt sich zu Ende und betrachtet mich aus schläfrig matten Augen, die plötzlich größer werden, als ich näher komme. »Du siehst beschissen aus.«
    »Wo sind die ganzen Leute?«
    »Hörst du keine Nachrichten? Halb Moskau brennt. Aber ich habe gehört, sie haben sie geschnappt. Was ist mit dir passiert?«
    Eine Stahltür auf der anderen Seite führt zu einem langen Flur, von dem zu beiden Seiten Türen abgehen, hinter denen Miniatur-Sets aufgebaut sind. Manchmal lässt Alla die Mädchen, die in den Zimmern arbeiten, über Nacht dableiben, und zieht es ihnen von der Gage für den nächsten Tag oder Monat ab. Ich laufe bis zur Tür am Ende des langen Korridors, Alla knapp hinter mir.
    »Bist du allein?«
    Sie guckt grimmig, überholt mich und betritt ihr Büro. Ihr Arbeitsbereich ist in weichen Tönen gehalten. Cremefarbener Teppich, Mahagonimöbel und ein Kandinsky-Druck, Moskau 1 in Blau, Orange, Gelb und Rosa, an der Wand hinter ihrem überdimensionalen Schreibtisch. Eine verschlossene Flügeltür führt zu ihrem Wohnbereich, aber ich war noch nie dort. Dem Tisch gegenüber stehen ein Ledersofa und zwei dick gepolsterte Sessel hinter einem Couchtisch. Ich nehme auf einem der Sessel Platz, der so plüschig ist, dass ich darin zu versinken drohe. Alla setzt sich im Schneidersitz auf das Sofa. Die einzige Beleuchtung ist die flackernde Flamme einer Duftkerze – sie riecht nach Mango und Erdbeere: Alias Art, in Moskaus tiefstem Winter einen Hauch Frühling zu verbreiten.
    Manchmal vergesse ich, wie schön sie ist – blond gesträhntes Haar, markant geschnittene Augen, die im Kerzenlicht glitzern wie geschliffene Jade, dünn wie ein Model, groß und gut gebaut. Ich habe sie performen sehen, live und auf Video. Einige der Techniker und der Mädchen nennen sie »die Meisterin«, und ich bin sicher, dass damit eher ihre Fähigkeiten als Pornoqueen gemeint sind als die des Kopfes einer krakenhaften Organisation. Zu Unrecht, denn bei Letzterem beweist sie weitaus ungewöhnlicheres Talent.
    »Soll ich vielleicht so tun, als wäre dein Gesicht nicht voller Brandwunden?«
    Ich schließe die Augen und lasse mich in den Sessel zurücksinken. Aus irgendeinem Grund bin ich immer noch müde.
    »Vadim war hier und bat mich, einen Film zu entwickeln.«
    Vadim ist ein Gespenst. Wahrscheinlich war er irgendwo im Café, als ich vor ein paar Stunden ankam und die Kamera auf seinen unaufgeräumten Schreibtisch gelegt habe. Sie dreht sich um, greift nach einem Ordner und reicht mir ein Hochglanzfoto. Es zeigt die Unterseite der geöffneten Kofferraumklappe eines Mercedes und die blutigen Zahlen 75859113323. Ihr angespannter Gesichtsausdruck sagt mir, dass sie bereits einen Blick darauf geworfen hat.
    »Sagt dir das irgendwas?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Wessen Blut ist das?«
    »Niemand, den du kennst.«
    »Warst du das?«
    »Nein.«
    Sie rutscht unruhig hin und her. »Maxim hat nach dir gefragt.«
    »Was will er?«
    »Er hat einem der Mädchen eine Nachricht hinterlassen. Mei.«
    Den Namen kenne ich nicht, aber das heißt nichts. Die Mädchen kommen und gehen.

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