Im Schatten des Kreml
Nur Pech, dass er dadurch in unser Fahndungsvisier geriet. Dann ging er nach Tschetschenien. Seiner Webseite zufolge wollte er die Gräueltaten aufdecken, die dort begangen wurden. Unglaublich, was das Internet diesen Mistkerlen ermöglicht.
Kurz nachdem er nach Tschetschenien kam, brachte Ravi eine wirklich üble Geschichte an die Öffentlichkeit. Zweihundert Tschetschenen, die angeblich von einem Filtrationslager weggebracht wurden, hatte man gefoltert, vergewaltigt, was auch immer, und dann getötet. Irgendwann im Winter 2003. Vielleicht warst du zu der Zeit sogar da.« Er grinst mich an, aber es ist nur ein halbherziger Versuch, komisch zu sein, denn sein Blick verrät, wie nervös er ist.
Ich entgegne lieber nichts und lasse ihn reden, aber das ungute Gefühl in mir erhärtet sich zu einer bitteren Erkenntnis.
»Wo genau soll das gewesen sein?«
»Starye Atagi.«
16
Ich bleibe ruhig und versuche, keine Reaktion zu zeigen. Vadim gleitet an unserem Tisch vorbei, in der Hand ein Tablett mit Schwarzbrot und Schüsseln mit dampfender Kohlsuppe. Matthews sieht ihm hinterher, ehe er fortfährt:
»Im Ernst, kannst du dir vorstellen, wie schlecht das in der Weltpresse aussähe? Nicht, dass uns das etwas ausmachen würde. Es wäre toll, wenn jemand die Aufmerksamkeit zur Abwechslung mal von unseren Missetaten ablenken würde.«
Ich stürze noch ein Glas hinunter, ohne auch nur ans Anstoßen zu denken. Die scharfe Flüssigkeit rinnt kalt meine Kehle hinunter und fängt im Bauch an zu brennen.
»Jedenfalls, Ravi verbreitet das in der Öffentlichkeit. Erzählt den Medien, er habe unbestreitbare Beweise. Ihr habt Glück, dass die einzige Zeitung, die darüber berichtet hat, ein liberales Moskauer Schundblatt war, das niemand beachtet. Wie du schon sagtest, das muss man Putin zugutehalten, er hat die Presse fest im Griff.«
Ich habe nichts dergleichen gesagt, aber soll er glauben, was er will. Mit Putins Kontrolle über die Presse hat er recht. Geschäftsleute mit engen Verbindungen zum Kreml haben Fernsehsender und Zeitungen aufgekauft wie billigen Schmuck. Matthews Glas hinterlässt nasse Kreise auf dem Tisch, während ein Vater seinen Sohn an uns vorbei in Richtung Toilette treibt.
»Vor zwölf Tagen«, fährt er fort, »ist Ravi verschwunden. Ein paar Tage danach findet man ihn außerhalb von Moskau, mit einer Kugel im Kopf. Der Leichenbeschauer hat es Selbstmord genannt. Danach fing die Tochter des Senators an, mit Rasierklingen herumzuspielen.« Er trinkt den Rest von seinem Wodka aus und knallt das Glas verkehrt herum auf den Tisch. »Gieß mir bloß nichts mehr von diesem Zeug ein.«
Mit seiner knochigen Hand fährt er sich über das Gesicht. Wir sitzen schweigend da, umgeben von der gleichmäßigen Geräuschkulisse des Cafes, während er offensichtlich überlegt, wie er seine Geschichte zu Ende bringen soll.
Der Wodka, den uns Vadim gebracht hat, heißt palenka, ein billiger Fusel, der häufig selbst gebrannt wird. In Verbindung mit der von Matthews erwähnten Schutzgelderpressung des Generals erinnert mich das an eine Zeit, als Valja und ich mit einem Gangster namens Yakov zu tun hatten, der sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Konsortium von palenka-Destillerien im Ural aufgebaut hatte.
Er agierte in Jekaterinburg von einem zweistöckigen Büro aus. Eines Tages, als wir wussten, dass er dort war, überwältigten wir die beiden Wachmänner im ansonsten leeren Eingangsbereich. Ich postierte Valja direkt an der Tür mit einer Uzi unterm Arm und lief die Treppe hoch.
Yakov saß in einem Hinterzimmer in seinem Stuhl zurückgelehnt am Kopfende eines Tisches, umringt von fünf seiner Leute. Einer der Männer sah mich kommen, sprang auf und griff nach dem Kolben einer Pistole in seiner Jeans, aber es war zu spät. Meine Browning war schon auf Yakovs Gesicht gerichtet. Mit dem Rücken zur Wand näherte ich mich ihm bis auf einen Meter, sodass er seinen Stuhl zu mir drehen musste.
»Ich bin Volk.«
»Und?« Seine Schweinchenaugen sahen mich aus einem Gesicht voller Fettfalten an. Obwohl meine Pistole fast seine Nase berührte, zeigte er keine Angst.
»Von der Achtundfünfzigsten Armee.«
Er guckte verwirrt. Offenbar war ich kein Kleinganove, der sich einen Namen machen wollte, kein aufgebrachter Bauer, dessen Land seine Trucks um einer kleinen Abkürzung willen umgegraben hatten, und auch kein betrogener Ehemann, der Rache wollte.
»Die Achtundfünfzigste ist in Wladikawkas stationiert«,
Weitere Kostenlose Bücher