Im Schatten des Kreml
ist, dass die Australier einige Dinge – und einige Leute – gesehen hatten, die sie nicht hätten sehen sollen. Wenn du mich fragst, waren die sowieso alle vom Geheimdienst. Das waren doch keine Pazifisten. Die wussten genau, was da lief. So wie du und ich, nicht wahr, Volk?«
Matthews ist bestimmt ein zäher Brocken. Wahrscheinlich hat er Luftangriffe gegen militärisch überlegene Gegner geflogen, vielleicht sogar jemanden in einer Seitenstraße in Falluja umgelegt, aber er saß nie am kürzeren Hebel der Macht. Also unterscheidet er sich in einem ganz wesentlichen Punkt von mir.
»Wie auch immer, die Tochter des Senators steckte mittendrin. Sie war bei den Terroristen, einer Splittergruppe der Jemaah Islamiyah. Hat persönlich aus der Nähe miterlebt, wie die Köpfe rollten. Wahrscheinlich nicht das, was Daddy sich vorgestellt hatte, als er sie da untergebracht hat. Hast du so was schon mal gesehen, Volk?«
Was ich gesehen und getan habe, ist tief in mir drin verschlossen, und da bleibt es am besten auch.
»Ja, hast du. Und Schlimmeres.«
Für einen Moment trifft sein Blick meinen.
»Sie haben sie gehen lassen. Wahrscheinlich, weil sie mit Ravi Kho zusammen war, aber wer weiß schon, wie diese Leute ticken. Wie bekommt man in diesem Laden etwas zu trinken?«
Auf mein Zeichen hin erscheint Vadim so schnell mit einem Teekessel, dass Matthews vor Schreck aufrecht auf seinem Stuhl sitzt. »Versteht der Mann Englisch?«
»Keine Sorge, er ist taub.«
Vadim ist alles andere als taub. Um zehn Jahre in einem Arbeitslager in Archangelsk zu überleben, muss man über eine Menge Fähigkeiten verfügen, unter anderem über die, unsichtbar im Hintergrund zu bleiben und alles mitzubekommen, ohne offensichtliches Interesse zu zeigen. Aufgrund seines hageren Körperbaus und zigeunerhaften Aussehens wird er gern unterschätzt. Viele Russen halten seinesgleichen von Natur aus für minderwertig, eine rassistische Haltung, die auch in der Politik häufig zum Tragen kommt.
Matthews wirkt kurz unentschlossen, dann nickt er und scheint mir meine Lüge abzunehmen, vielleicht aus denselben Gründen wie die meisten.
»Haben Sie auch was Stärkeres?«, fragt er und sieht Vadim an, der für einen so simplen Trick viel zu clever ist.
Ich warte, bis Vadim zu mir guckt, und sage auf Russisch: »Bring uns eine Flasche Wodka.«
Matthews lehnt sich zurück und streckt wieder die langen Beine aus. »Wo war ich?«
»Du erzähltest von der Tochter des Senators und von Ravi Kho.«
Er nickt. »Sieht so aus, als hätte Ravi den Jungs von Jemaah Islamiyah Informationen weitergegeben, die er von ihr bekommen hat. Geheime Daten, an die sie gelangte, indem sie mit dem Namen ihres Vaters um sich warf. Kurz nachdem sie sie gehen ließen, wurden die Anschläge immer dreister. Sie jagten einen Nachtclub in die Luft, direkt am Stadtrand von Jakarta, so ähnlich wie in Bali. In der Nähe von Bandung warfen sie eine Busladung Touristen von einer Klippe. Wir haben dafür gesorgt, dass in der Zeitung stand, es sei ein Unfall gewesen, aber das war es ganz bestimmt nicht. Der Punkt ist, egal, was wir machten, sie schienen uns immer einen Schritt voraus zu sein.«
Vadim kommt mit einem Tablett zurück, auf dem er eine Flasche Wodka in einem Kübel Eis und zwei Schnapsgläser balanciert. Matthews wartet, bis Vadim ihn anschaut, dann fragt er: »Haben Sie auch Gin, und vielleicht etwas Tonic?«
Vadim tut so, als würde er ihn nicht verstehen, und entfernt sich wieder. Ich fülle unsere Gläser, erhebe meins zum obligatorischen Toast, sage: »Auf Amerika«, und kippe es runter. Matthews leert seinen Drink und zuckt zusammen. Kaum steht sein Glas wieder auf dem Tisch, schenke ich uns beiden eine zweite Runde ein und stelle die grüne Flasche zurück in den Kübel.
»Hat sie das schon öfter gemacht, Terroristen geholfen?«
»Nein. Sie wurde benutzt, und ich glaube, ohne es zu wissen. Für sie ist Ravi immer noch ein Held. Um ehrlich zu sein, wir vermuten, dass sie ziemlich am Ende ist. Letzte Woche hat sie versucht, sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufzuschneiden. Und zwar ein bisschen tiefer, als man es macht, wenn man nur Aufmerksamkeit erheischen will. Nur damit du weißt, mit wem wir es zu tun haben.«
Er sieht seinen Wodka säuerlich an, nippt daran und stellt ihn vorsichtig weg, als könne er jeden Moment explodieren.
»Ungefähr zu der Zeit, als Jemaah Islamiyah noch einen draufsetzte, wurden auch Ravis Internetbotschaften militanter.
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