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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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den Tisch schiebe. »Dort können Sie Semerkos Spur aufnehmen.«
    »Wie haben Sie die Adresse bekommen?«
    »Ich glaube nicht, dass er noch dort ist. Ich wette, er ist in die Berge weitergezogen. Aber wer auch immer dort ist, kann Ihnen vielleicht weiterhelfen.«
    Abwesend fährt er mit dem Zeigefinger über die Adresse. Sein linkes Auge zuckt vor Sorge. »Tut mir leid, wenn ich Ihre Beweggründe infrage gestellt habe. Ich hoffe, Sie zweifeln nicht daran, dass wir alles tun, um diese Bestie zu finden.«
    Ich weiß nicht, ob eine bessere Polizeiarbeit Galina geholfen hätte. Das ist eine Frage, die er für sich selbst beantworten muss – und mit der er zu leben hat. Ich habe schon genug eigene Probleme.
    Ich muss an Valja denken, die alles darangesetzt hätte, Galina zu finden. »Sehen Sie zu, was Sie über die Adresse herausfinden können, und rufen Sie mich an. Wenn Sie mich in seine Nähe bringen, finde ich ihn. Und wenn das Mädchen noch lebt, finde ich auch sie.«
    Ich gehe zurück durch den Gruppenraum und die kaputte Tür. Der Tourist mit dem Diamantenohrring sitzt inzwischen mit verschränkten Armen in der Zelle und zittert. Eine Prostituierte mit knochigen Knien leistet ihm Gesellschaft. Sie beschwert sich bei einem Polizisten, dass man sie eingesperrt hat. Warum sie und nicht die anderen? Wie viel, damit sie hier rauskommt? Sie wurde bestimmt nicht eingelocht, nur weil sie auf den Strich geht. Ich schätze, einer von ihnen hat es auf sie abgesehen. Die Kaution besteht darin, ihm und seinen Freunden eine Nacht lang auf der Wache zu Diensten zu sein, was die ungeduldigen Blicke erklärt, die ich vor ein paar Minuten kassiert habe. Ich bezweifle, dass Barokov dabei ist, aber man weiß ja nie.
    »Wie viel Geld haben Sie dabei?«, frage ich den Touristen auf Englisch.
    »Was?«
    »Sie wollen doch hier raus, oder?«
    »Verdammt, ja! Sehen Sie, ich habe gar nichts gemacht ...«
    »Wenn der Polizist wiederkommt, geben Sie ihm vierhundert Dollar. Damit ist die Sache geregelt.« Weniger würde es auch tun, aber die Polizei braucht das Geld, und ihre merkwürdige Vorstellung von Moral verbietet es ihnen, es einfach zu stehlen, jedenfalls von jemandem wie ihm. Sie nehmen es lieber in Form eines höflichen Geschenks, zusammen mit einem Augenzwinkern oder zumindest einem Dankeschön.
    »Kein Scheiß?«
    Aber ich habe ihm schon den Rücken zugewandt und trete durch den abbruchreifen Eingangsbereich hinaus in die Nacht, wo der Schnee in dicken Flocken fällt. Golko und ich werden es nicht in zweieinhalb Stunden nach Wladimir schaffen. Nicht bei diesem Wetter, selbst wenn wenig Verkehr ist. Ich greife nach dem Anhänger in meiner Tasche. Seine Oberfläche ist glatt wie Seide, abgesehen von den in Form eines orthodoxen Kreuzes eingearbeiteten Diamantflächen. Bevor ich Golko treffe, muss ich kurz meinen wertvollen Fang in Sicherheit bringen. Es ist zwar noch nicht das Ei selbst, aber der Anhänger ist ein Anfang, ein edelsteinbesetzter Wegweiser zu den Antworten, die ich suche.

23
    Ich fahre mit der Metro zu Mascha. Die Luft bei ihr ist stickig und süßlich, es riecht nach Tee. Ein Kessel brodelt auf der Kochplatte. Die einzige Lichtquelle ist eine Stehleuchte in der Ecke, die mit einem ockerfarbenen Stück Stoff verhangen ist und dem Raum eine milde Helligkeit verleiht. Ich begebe mich in die vertraute Umarmung des Korbstuhls, ziehe den Anhänger aus der Tasche und frage mich, wo überall auf der Welt er schon gewesen ist, wer alles ihn bewundert, berührt und sein Gewicht um den Hals gespürt hat.
    Mascha reicht mir einen Becher Tee. »Ist der echt?«
    Ich lege ihn in ihre Hand. Sie wiegt ihn hin und her, fühlt sein Gewicht und betrachtet ihn wie ein Astronom eine ferne Galaxie. Ihre Hand ist muskatfarben und so runzlig, dass man meinen könnte, das blaue Ei liege in einem nassen Sandbett.
    »Was soll ich damit?«
    »Bewahr ihn für mich auf. Ich hole ihn mir irgendwann zurück, wenn ich kann.«
    Sie sieht immer noch den Anhänger an und spielt dabei mit einer der geschnitzten Figuren an ihrer Kette. Es ist eine Frau mit wallender Robe und gesenktem Kopf. Mokosch, die fruchtbare Mutter Erde. Mutter Russland.
    »Hast du irgendetwas über Galina herausgefunden?«
    »Ein bisschen was.« Ich überlege, wie viel ich ihr verraten soll, aber Mascha ist niemand, dem man etwas vormachen kann. »Das andere Mädchen, von dem du gehört hast – sie hieß Tanja. Es sieht so aus, als hätte Semerko sie vor ungefähr einem Monat

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