Im Schatten des Kreml
wohnt im oberen Teil.«
Die obere Hälfte sieht aus wie nachträglich draufgeklatscht, wobei die ganze Konstruktion an die graffitibeschmierte Wand des Warenlagers eines Autoteilehändlers gepresst ist. Klapprige Holzstufen kriechen am Aluminium hinauf zu einem Absatz, so klein wie ein Krähennest. Wir steigen aus dem Wagen. Als ich die Sig ziehe, hält Golko mitten in der Bewegung inne und reißt die Augen auf.
»Halten Sie mir den Rücken frei«, fordere ich ihn auf. »Niemand wird gern um drei Uhr morgens geweckt.«
Die Stufen sind glatt von der dünnen Eisschicht, die unter meinen Füßen knackt, während ich mich bis zum Absatz hochkämpfe und an eine Metalltür klopfe. Nichts passiert, also klopfe ich lauter. Immer noch keine Antwort. Ich kauere mich hin und inspiziere das schwach beleuchtete Schloss. Es scheint nagelneu zu sein. Direkt unterhalb des Absatzes höre ich das vertraute metallische Geräusch einer Pumpgun. Instinktiv gehe ich in die Knie.
»Wer ist da?« Die Stimme eines Mannes, näselnd und rau vom Schlaf. »Kommen Sie da runter, sofort...«
»Lassen Sie die Waffe fallen!«, brüllt Golko, und ich mache mich auf eine Ladung Schrot gefasst, aber nichts passiert.
Ich lehne mich über das Geländer, ohne das Gewicht darauf zu stützen. Golko hält seine Pistole gegen den fast kahlen Kopf eines Mannes in Pyjamahose und ärmellosem roten Unterhemd. Während ich die Stufen hinunterpoltere, nimmt ihm Golko eine Kaliber-20-Flinte ab, mit der man gerade mal einen Vogel abschießen könnte. Die Tür unten ist offen. Das verängstigte Gesicht einer Frau verschwindet rasch im dunklen Inneren, als ich in ihre Richtung sehe.
»Lassen Sie ihn, Leutnant.«
Golko schwitzt, trotz der kalten Luft. »Was?«
Vorsichtig drücke ich seine Pistole nach unten, nehme die Flinte an mich und hole drei Patronen heraus, bevor ich sie dem Mann leer zurückgebe. »Wohnen Sie hier?«
Er nickt ruckartig.
Ich zeige auf die offene Tür. »Gehen Sie nicht hinein, aber sagen Sie Ihrer Frau, sie braucht keine Angst zu haben. Wir sind von der Polizei.«
Er erstarrt. Jetzt hat er noch mehr Angst.
»Wir sind nicht wegen Ihnen hier. Erklären Sie ihr das.«
Er geht zu seiner Wohnungstür, sagt etwas und schließt sie dann. »Was wollen Sie?« Die Bartstoppeln auf seinen schmalen Wangen sind circa eine Woche alt, und die Goldfüllung in seinem Eckzahn blitzt jedes Mal auf, wenn das Licht, das den Autofriedhof beleuchtet, darauf fällt.
»Sind Sie hier der Besitzer?«
»Hmm.«
»Haben Sie die obere Etage an Joseph Melnik vermietet?«
Er blinzelt mich an. »Das weiß die Polizei doch alles.«
Ich sehe über seine Schulter, er riskiert einen kurzen Blick hinter sich und reißt den Kopf gleich wieder herum, als er erkennt, dass Golko immer noch die Pistole in der Hand hält.
»Ja, Melnik hatte sie gemietet, bis er plötzlich tot war. Er schuldet mir noch Geld; jetzt kann ich den Raum nicht mehr vermieten, weil die Polizei« – sein Blick wandert von mir zu Golko – »die echte Polizei mir verbietet, aufzuräumen.«
Golko kommentiert die Nachricht von Melniks Tod mit einem Stirnrunzeln.
»Wie ist Melnik gestorben?«, frage ich.
»Ermordet.« Der Mann zittert in der kalten Nachtluft.
»Wann?«
»Er ist vor etwa einem Monat von hier verschwunden. Vor ein paar Wochen haben sie seine Leiche gefunden.«
»Wie wurde er ermordet?«
Er pult sich nervös in den Augenwinkeln herum. »Einer der Polizisten hat mir erzählt, er hätte ausgesehen, als habe man sein Gesicht in eine Brotschneidemaschine gehalten. Warum lassen die mich das Chaos nicht wegmachen? Ich muss das Ding vermieten.«
»Was für ein Chaos, Blut?«
»Nee, er ist woanders gestorben. Aber ein paar Tage, nachdem die Polizei hier war, ist jemand eingebrochen und ... na ja, die haben nach etwas gesucht. Meine Frau und ich, wir waren in Moskau. Und das war auch gut so, nehme ich an. Als wir zurückkamen, war die Tür oben aufgesprengt. Sah aus, als hätte jemand eine Granate reingeschmissen.«
Wir folgen ihm die Treppe hoch auf den schwankenden Absatz, der unter unserem Gewicht ächzt. Golko hat seine Pistole noch in der Hand, und ich ziehe meine, schließlich wissen wir nicht, was uns erwartet. Der Vermieter öffnet die Tür, geht hinein und zieht an einer Kette. Licht fällt auf einen Raum, der noch schlimmer aussieht, als er ihn beschrieben hat. Umgestülpte und zertrümmerte Möbel, zerfetzte Matratzen, umgeworfene Regale. Der Bettrahmen ähnelt einem
Weitere Kostenlose Bücher