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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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es hinter uns.« Sie führt uns in den Gruppenraum, der leer ist bis auf einen Polizisten mittleren Alters mit dem Blick eines alten Mannes. »Machen Sie Pause, Darbo«, sagt sie zu ihm, und er zieht einen blauen Mantel und eine Wollmütze mit Ohrenklappen über und lässt uns allein. Olga platziert ihren massigen Körper auf einem Stuhl und gestikuliert mit den Händen. »Setzen Sie sich.« Die Metallfüße der Stühle kreischen über den Kachelboden, als wir sie heranziehen.
    »Melnik«, wendet sie sich an mich, Golko so gut wie ignorierend. »Ex-Oberst der russischen Armee, Tschetschenien-Veteran. Wir haben seine Leiche in einem Lagerhaus bei den Gleisen gefunden. Er wurde mit einem Messer ins Herz gestochen, das groß genug war, um einen Bären zu töten. Aber erst, nachdem man ihm die Augen herausgerissen und das Gesicht zersäbelt hatte. Andersrum wäre es sehr viel besser für ihn gewesen. Soweit wir feststellen konnten, gab es niemanden, der ihn genug gehasst hätte, um ihn zu töten, ganz zu schwiegen davon, ihn derart zuzurichten. Die Leute, die ihn kannten, meinten, der Mann habe jede freie Minute in der Kirche verbracht. Wer sollte so jemanden umbringen wollen?«
    Sie hält inne und studiert mein Gesicht. »Erzähle ich Ihnen hier irgendetwas Neues, Volk?«
    »Befanden sich seine Augen am Tatort?«
    »Nein.«
    »Wie hat der Mörder sie ihm entfernt?«
    Olga kaut auf ihrem Kaugummi und betrachtet mich neugierig. »Das wissen wir nicht genau. Sie wurden weder ausgestochen noch herausgehackt – es waren keine Löcher in den Höhlen. Es sah so aus, als hätte sich jemand besonders viel Zeit gelassen, damit sie heil bleiben, ein Trophäensammler vielleicht. Die Sehnerven waren sauber durchtrennt.«
    Golko schaut mich an und schreibt etwas auf seinen Notizblock, wie ein Reporter.
    Olga streicht mit der Hand eine Locke von ihrer Mähne beiseite, sodass ich ihre Augen sehe. »Vielleicht interessiert Sie das. Sie sind der Zweite innerhalb eines Monats, der sich nach ihm erkundigt.«
    »Wer war der andere?«
    »Lachek.« Sie lässt noch eine Kaugummiblase platzen.
    Golko erstarrt und hört auf zu schreiben.
    »Der alte oder der junge?«, hake ich nach.
    »Der alte. Sah aus wie der Tod. Habt ihr eine Ahnung, mit wem ihr es da zu tun habt?«
    Ich muss Olga gar nicht erst fragen, ob sie Lachek alles erzählt hat. Sie hatte keine andere Wahl, genauso wie sie jetzt keine andere Wahl hat.
    »Was wollte er?«
    »Die Akte. Er nahm sie und ging, keine Fragen, nichts.«
    »Was?«, entfährt es Golko.
    »Er teilte mir mit, dass die Untersuchung ab jetzt Sache der Staatssicherheit sei, und zog mich mit sofortiger Wirkung von dem Fall ab.«
    Plötzlich brenne ich darauf, die Akte zu sehen.
    »Ja, ich dachte mir, dass Sie das interessiert«, sagt Olga. »Und was jetzt kommt, wird Ihnen erst recht gefallen. Melnik hat im Norden der Stadt Räumlichkeiten angemietet. An dem Tag, als Lachek mir die Akte abgenommen hatte, rief mich Melniks Vermieter an und berichtete, die Räume seien auseinandergenommen worden. Und zwar gründlich. Ich frage mich, wonach der alte Mann gesucht hat.«
    Golko klopft so heftig mit dem Fuß auf den Boden, dass sein ganzer Körper vibriert. Ich lege ihm die Hand auf den Arm, damit er aufhört. »Wir waren schon dort.«
    »Gut, dann hier noch etwas, über das Sie nachdenken können, Volk«, fährt Olga fort. »Lachek hat mich angeguckt wie ein böser kleiner Junge ein Kätzchen ansieht, das er gleich in der Mikrowelle rösten will. Auch an Ihnen erkenne ich, dass Sie zu einigem fähig sind, aber dieser Lachek, na ja... Passen Sie auf sich auf.«
    »Jesus«, flüstert Golko. Halbmondförmige Schweißflecken bilden sich unter seinen Armen. Im Gruppenraum ist es zwar warm, aber so heiß auch wieder nicht.
    Olga blickt mich spöttisch an, offenbar interessiert an meiner Reaktion auf das, was sie als Nächstes zu sagen hat. »Danach wollte ich natürlich wissen, was es mit diesem Melnik auf sich hat, und ich fing an, Fragen zu stellen. Vor etwa einer Woche war ich dort, wo sie die Leiche abgeladen hatten. Hab nur ein bisschen rumgeschnüffelt, mit Leuten geredet, sonst nichts. Der Betriebsleiter hat vorne ein Büro mit großen Fenstern und Blick über die ganze Etage. So kann er seine Leute im Auge behalten, aber dafür sitzt er auch selbst auf dem Präsentierteller. Zwei Asiaten waren bei ihm und haben mit ihm gesprochen, ein Mann und eine Frau. Beide jung. Ihn habe ich nicht gesehen, aber sie war der Hammer.

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