Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
ihre Vergangenheit in Erfahrung gebracht oder vielleicht auch schon länger gewusst, das er ihr hatte mitteilen wollen. Sie war im Begriff gewesen, endlich Antworten zu erhalten. Und um dies zu verhindern, war Milan ermordet worden. Sein und ihr Geheimnis nahm er nun mit ins Grab. Carya hätte vor Wut und Enttäuschung heulen können.
Doch sie beherrschte sich und widmete sich stattdessen den Vorbereitungen auf den abendlichen Ball. Sie wusch und bürstete ihr Haar und ließ danach eine Dienerin kommen, die ihr helfen sollte, eine raffinierte Zopffrisur zu flechten. Zunächst gab sich das Mädchen, das Esabelle hieß und vielleicht zwei Jahre jünger war als Carya, dienstbar und unterwürfig. Nachdem Carya ihr allerdings klargemacht hatte, dass das wirklich nicht nötig sei, taute sie auf und begann munter zu erzählen. So erfuhr Carya beispielsweise, dass der austrogermanische Gesandte von Hartenberg heute Morgen den Palast verlassen hatte und dass es schon seit fast einem Jahr hartnäckige Gerüchte gab, Minister Justeneau und Ministerin Factice hätten ein Verhältnis miteinander. Zuvor war Factice mit einem Hauptmann der Palastwache liiert gewesen, aber der war in Ungnade gefallen und hatte vom Hof fliehen müssen, wobei er einige seiner besten Leute mitgenommen hatte.
Das alles waren keine Informationen, die Carya unmittelbar bei ihren eigenen Problemen weitergeholfen hätten. Dennoch war sie höchst dankbar dafür und schalt sich innerlich eine Närrin, weil sie nicht gleich auf den Gedanken gekommen war, sich mit einer geschwätzigen Bediensteten in ihrem Alter anzufreunden. Dank Cartagena war sie so auf die hochgestellten Höflinge und auf greise Veteranen unter der Dienerschaft fixiert gewesen, dass sie völlig vergessen hatte, wer für gewöhnlich die meisten pikanten Geschichten, echte wie erfundene, kannte: Mädchen in Caryas Alter.
»Sag, Esabelle, kannst du mir auch ein wenig über Aurelie erzählen?«, fragte Carya. »Ich habe gehört, dass sie und Prinz Alexandre einander schon seit sieben Jahren versprochen sind, aber jetzt erst demnächst heiraten werden. Das klingt mir nicht nach einer Liebeshochzeit.«
»Oh, doch sie haben sich sehr geliebt«, ließ Esabelle sie wissen. »Also, als Aurelie von Magister Milan – er ruhe in Frieden – vor neun Jahren an den Hof gebracht wurde, waren der Prinz und sie natürlich noch zu jung, um sich zu lieben. Sie waren ja beide noch Kinder – hat man mir erzählt.«
»Einen Augenblick«, unterbrach Carya sie. »Aurelie gehört zu Magister Milan?« Ihr war nicht aufgefallen, dass die zukünftige Prinzessin unter den trauernden Höflingen gewesen wäre.
Im Spiegel sah sie Esabelle den Kopf schütteln. »Nicht so richtig. Sie ist die Tochter eines Adligen aus Ostfrancia, wenn ich mich nicht irre. Aber Magister Milan hat sie bei Hofe eingeführt und war ihr Lehrer und Vormund. Dann haben sie sich allerdings irgendwie zerstritten. Oder Aurelie wollte sich nicht länger bevormunden lassen. Da bin ich mir nicht sicher.«
Das war, angesichts von Milans heimlicher Zugehörigkeit, interessant, wenngleich Carya dieses Wissen noch nicht so recht einzuordnen wusste.
»Na jedenfalls, vor drei Jahren, als ich an den Hof kam, war es wundervoll romantisch, mitzuerleben, wie der Prinz um seine Aurelie warb«, fuhr Esabelle im Plauderton fort. »Ich weiß gar nicht genau, was danach vorgefallen ist. Es heißt, der Prinz habe sich in mancher Nacht mit anderen Frauen vergnügt. Und Aurelie wurde sehr launisch. Ich …« Esabelle brach ab.
Carya drehte sich zu ihr um und schenkte ihr einen mitfühlenden Blick. »Sie hat dich schlecht behandelt?«
»Das nicht«, entgegnete Esabelle. »Aber andere. Viele der Mädchen haben Angst vor ihr und ihrer Launenhaftigkeit. Ich weiß aber nicht, ob sie so wurde, weil sie sich vom Prinzen hintergangen fühlte, oder ob die Liebe des Prinzen zu schwinden begann, weil Aurelie so seltsam wurde.«
»Aber heiraten werden sie trotzdem?«, fragte Carya.
»Ich glaube schon. Wenn nicht noch etwas passiert …« Die Dienerin warf Carya einen verstohlenen Blick zu, der ihr gar nicht gefiel. Redete man schon hinter ihrem Rücken über sie und Alexandre? Sie hoffte es nicht. Schließlich war gar nichts vorgefallen. Carya befand sich erst seit achtundvierzig Stunden auf Château Lune und hatte den Prinzen erst viermal getroffen – was, genau genommen, ziemlich häufig war, wie ihr aufging. Licht Gottes, erst zwei Tage , dachte Carya. Es kommt mir
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