Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
seine Miene war so steinern wie immer. »Templer Estarto«, antwortete er.
»Ich bin kein Templer mehr«, erinnerte ihn Jonan – überflüssigerweise, denn das wusste Alecander sicher.
Dessen Antwort verblüffte ihn. »Ein Templer zu sein, bedeutet mehr, als nur eine Uniform zu tragen. Es ist eine Frage des Mutes und der Aufrichtigkeit.« Mit diesen Worten ging der Paladin an Jonan vorbei und ließ ihn stehen. Er nahm ihn nicht als Dieb und Hochverräter fest. Er schlug ihn auch nicht spontan nieder, weil Jonan das Bild der Truppe besudelt hatte. Nein, er ließ ihn einfach stehen.
Wortlos starrte Jonan ihm nach. Was genau ist hier eben passiert? , fragte er sich, bevor er durch die Tür schritt.
»Carya«, sagte der Prinz mit sanftem, aber beharrlichen Drängen. »Warum sträubst du dich gegen deine Gefühle? Ich bedeute dir doch etwas, das kannst du nicht leugnen.«
»Ich … ja, irgendwie schon, aber …«
»Kein aber .« Die Hände des Prinzen wanderten auf ihren Rücken, und er zog sie an sich. Bevor Carya sich versah, berührten seine Lippen die ihren, und er küsste sie mit der Leidenschaft eines Mannes, der vom Leben alles forderte und gewohnt war, es auch zu bekommen.
Unwillkürlich versteifte sich Carya. Der zweifellos größere Teil von ihr war empört über diesen forschen Vorstoß, über dieses Einreißen aller Mauern zwischen ihnen. Sie hatten beide andere Partner, und was Alexandre hier tat, geziemte sich einfach nicht. Doch ein kleiner Teil schmolz unter seinem Ansturm dahin. Sein Kuss elektrisierte sie, sein Geruch war betörend wie Blütenduft in einer warmen Sommernacht. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurden alle Zweifel, alle Vorbehalte unbedeutender. Sie wollte ihn von sich stoßen. Stattdessen schlang sie ihre Arme um seinen Hals. Eine Gier nach brennender, bedingungsloser Liebe, die sie viel zu lange gezügelt hatte, brach sich Bahn und wurde von Alexandre erwidert. Beinahe hungrig erwiderte sie seine Küsse.
Wie vom Donner gerührt stand Jonan im Türrahmen und blickte in den dämmrigen Raum neben dem Büffetzimmer. Bis gerade eben hatte er noch gedacht, dass ihn nach der Begegnung mit Julion Alecander an diesem Abend nichts mehr würde schocken können. Er hatte sich geirrt.
Sein Verstand weigerte sich, das Bild anzuerkennen, das seine Augen ihm übermittelten. Das war nicht möglich. Das konnte nicht sein. Es war nicht Carya, die dort in einem atemberaubenden blauen Kleid und mit kunstvoll geflochtener Frisur in den Armen eines schlanken uniformierten Mannes lag. Es war nicht Carya, die ihre Arme um seinen Hals geschlungen hatte und ihn mit geschlossenen Augen und mit einer Leidenschaft küsste, die keinerlei Spielraum für Interpretationen ließ.
Jonan hatte schon viel erlebt – darunter Dinge, die manchen Menschen vor Entsetzen das Bewusstsein geraubt hätten –, aber er hatte alles irgendwie durchgestanden. Dieser Verrat hingegen ließ ihn wanken. Er hatte das Gefühl, als sei die Welt aus den Angeln gehoben worden und kippe nun zur Seite weg. Instinktiv streckte er einen Arm aus, um sich am Türrahmen festzuhalten.
Deswegen bin ich nicht hergekommen , durchfuhr es ihn. Dafür habe ich nicht unser halbes Hab und Gut weggetauscht, mich beinahe zu Tode prügeln lassen und Pitlit eine grausame Nacht lang an eine sadistische Bande verloren.
Bei dem Gedanken daran, was der Straßenjunge hatte erleiden müssen, nur weil sie die Pistolen auf dem Schwarzmarkt besorgt hatten, die ihnen den Weg nach Château Lune ebnen sollten, erwachte Zorn in ihm. Es war ein kraftvoller Zorn, der jede Unsicherheit auslöschte und von einer Sekunde zur nächsten Bewegung in ihn brachte. Entschieden stieß er sich vom Türrahmen ab und wandte sich zum Gehen.
In diesem Moment öffnete Carya die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde kreuzten sich ihre Blicke. Es war möglich, dass Erkennen und Entsetzen in ihren Augen aufflackerten. Ganz sicher war Jonan sich nicht. Und er hielt auch nicht in der Bewegung inne, um es herauszufinden. Vielmehr drehte er sich vollständig weg und stürmte davon. Er wollte sich jetzt weder mit Carya auseinandersetzen noch mit ihrem francianischen Liebhaber. Dem hätte er zwar am liebsten einen Faustschlag ins Gesicht verpasst, aber das konnte er sich in seiner gegenwärtigen Lage nicht leisten. Also blieb ihm nur, von diesem elenden Ball zu fliehen und sich irgendwo an einen ruhigen Ort zurückzuziehen. Er musste nachdenken.
Jonan! Carya glaubte, ihren Augen nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher