Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
oder?«
»Äh … ja.«
Ein kurzes Grinsen blitzte unter dem Schnurrbart des Soldaten auf. »Na gut. Aber machen Sie schnell.« Er schloss die Tür auf, und Carya schlüpfte hindurch.
»He, Carya, wo kommst du denn her?« Pitlit, der missmutig auf seinem Bett gesessen hatte, sprang auf und blickte ihr neugierig entgegen.
»Ich bin gerade damit beschäftigt, Jonan und dir die Haut zu retten«, erklärte Carya.
»Du bist nicht eingesperrt?«
»Ich war es, aber nur zeitweise. Im Grunde kann man mir nichts vorwerfen. Deshalb darf ich mich wohl frei bewegen. Wie lange das so bleibt, weiß ich nicht. Aber ich gedenke, die Zeit zu nutzen. Hier, iss erst mal.« Sie stellte Pitlit den Teller hin und nahm sich auch selbst etwas, um ihren knurrenden Magen zu beruhigen.
Der Straßenjunge ließ sich nicht zweimal bitten und griff ordentlich zu. »Was ist denn überhaupt passiert?«, fragte Pitlit mit vollem Mund. »Ich stehe heute Morgen auf und will raus, da ist auf einmal so ein Kerl in Uniform vor meiner Tür postiert und sagt: Kein Durchgang. Bloß, warum ich hier festgesetzt wurde, wollte mir keiner verraten. Ich wollte schon durchs Fenster abhauen, aber das kann man gar nicht richtig aufmachen. Ist irgendwie abgesperrt. Und mitten am Tag wollte ich auch keine Gewalt anwenden.«
In raschen Worten schilderte Carya dem Jungen, was vorgefallen war. Als sie Pitlit erzählte, wie Jonan Alexandre eine Abreibung verpasst hatte, hellte sich die Miene des Jungen auf. »Das geschieht diesem maskierten Schmierenprinzen recht«, tönte er. »Wäre ich vorbeigekommen, hätte ich ihm auch meine Faust vorgestellt. Faust – Prinz, Prinz – Faust, bamm!« Grinsend schlug er sich mit der geballten Rechten in die flache Linke.
»Tja, leider wird Jonan dieser Spaß aber den Kopf kosten, wenn mir nicht schnell etwas einfällt. Er wurde von Gardisten abgeführt, und Alexandre will ihn tot sehen.«
»Autsch. Was für ein schlechter Verlierer. Und was hast du nun vor?«
»Ich werde mich an Cartagena wenden«, antwortete Carya. »Er hat die Macht, mir zu helfen. Und ich hoffe, dass ich ihn dazu überreden kann, sie zu nutzen.«
»Willst du ihn erpressen mit … du weißt schon?« Sie hatte Pitlit von dem mitgehörten Gespräch zwischen dem Botschafter und Julianne Factice erzählt.
»Nein, ich glaube, das kann ich nicht. Wenn ich ihm drohe, seine Intrigenspiele preiszugeben, bringt er mich sicher um. Und Jonan und dich gleich mit. Nein, ich muss ihn anders überzeugen. Wie, das weiß ich auch noch nicht.« Sie klopfte Pitlit aufmunternd auf die Schulter. »Ich muss weiter. Halte durch.«
»Keine Sorge«, sagte Pitlit. »Ich bleibe hier, drehe Däumchen und warte auf meine Rettung durch die holde Maid. Und sollte mir jemand ans Leder wollen, habe ich auch noch die eine oder andere Überraschung in der Hinterhand.« Er grinste vielsagend.
Carya fragte nicht, was er damit meinte.
Als Carya sich kurz darauf ein Stockwerk höher Cartagenas Gemächern näherte, ging gerade die Tür auf und der Botschafter trat auf den Flur. Sie dankte ihrem Glück in diesem Fall. Wäre sie eine Minute später gekommen, hätte sie ihn verpasst und vermutlich einmal mehr den ganzen Tag vergeblich gesucht.
»Signore Cartagena«, rief sie ihn an. »Warten Sie bitte einen Moment.«
»Carya«, begrüßte er sie, und seine Miene, die eben noch vollkommen neutral gewesen war, wurde ernst. »Gut, dass Sie mich aufsuchen. Wir müssen reden. Bitte, kommen Sie herein.« Er öffnete die Tür wieder, und sie gingen in seine Gemächer. Nichts hatte sich dort seit Caryas letztem Besuch verändert. Im Grunde hatte sie das auch nicht erwartet.
Während der Botschafter zu der Sesselgruppe hinüberging, die in der rechten Zimmerecke stand, warf er ihr einen missbilligenden Blick zu. »Weshalb kleiden Sie sich wie ein Dienstmädchen?«, wollte er wissen. »Mittlerweile verfügen Sie doch sogar über zwei Kleider.«
»Aber nur ein passendes Untergewand«, erklärte Carya trotzig. »Und das muss genäht werden.«
»Sie haben wirklich ein Problem mit Ihrer Garderobe«, bemerkte Cartagena kopfschüttelnd.
»Château Lune ist gefährlicher, als ich dachte – für Kleidungsstücke«, erwiderte Carya spitz.
»Sie hätten sich ein anderes bringen lassen können, um … Ach was, vergessen wir das. Ihr Aufzug ist wirklich nur ein kleines Ärgernis im Vergleich zu dem deutlich größeren der letzten Nacht.« Der Botschafter setzte sich auf einen der drei rot gepolsterten Sessel
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