Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
gegen den Widerstand von Alexandre zu retten. Vom Prinzen brauchte Carya keine Gnade mehr zu erwarten. Sie hatte ihn nun drei Mal abgewiesen, das erste Mal durch ihre Flucht von der Tanzfläche, das zweite Mal nach dem unerwartet leidenschaftlichen Kuss und zuletzt – und das sehr deutlich – hier in ihrem Gemach. Eventuell kam er noch zur Besinnung, wenn erst der Alkohol aus seinem Blut verschwunden war und sein Zorn darüber, von Jonan geschlagen worden zu sein, etwas verrauchte. Möglicherweise hatte der Wein aber auch Alexandres wahres Wesen offenbart, und hinter der Fassade aus schönen Worten und strahlendem Lächeln steckte ein elender Mistkerl, der sie nur hatte verführen wollen. In dem Fall konnte sie auf ihn nicht zählen.
Schlaf fand Carya in dieser Nacht so gut wie keinen. Immer wieder musste sie an die letzten Stunden denken und daran, wie katastrophal sich ihr Wiedersehen mit Jonan und Pitlit entwickelt hatte. Sie hoffte, dass dem Straßenjungen nichts geschehen war. Ob er von den Vorfällen unterrichtet worden war? Oder schlummerte er friedlich in dem Zimmer, das er sich mit Jonan teilte, und würde sich erst am nächsten Morgen wundern, warum im anderen Bett keiner lag?
Ihre Gedanken zogen weitere Kreise. Jonan und Pitlit hatten sich illegal in den Palast eingeschlichen, so viel hatte Pitlit ihr während ihres Gesprächs draußen im Park verraten. Würde dies nun zusätzliche Folgen für Jonan haben? Drohte Pitlit Gefahr? Und wie sah es mit diesem Minister de Funès aus, der ihnen geholfen hatte? Immerhin waren die beiden in seiner Kutsche an den Hof gekommen.
Oh, Jonan, wie konntest du nur so leichtsinnig sein, dich mit Alexandre anzulegen? , dachte Carya. Sein Eingreifen war ehrenhaft gewesen, aber auch ein wenig übereilt. Der Zorn auf den Prinzen, dem er mittlerweile offenbar alle Schuld an Caryas Verführung beim Ball zuschrieb, hatte seine Faust geleitet, und das konnte sie verstehen. Aber hätte er doch nur ein bisschen nachgedacht, Beherrschung geübt und den Prinzen allein mit Worten gestoppt. Dann wäre aus einer bloß peinlichen Situation keine lebensgefährliche geworden.
Als der Himmel am Horizont bereits heller wurde, übermannte Carya schließlich doch die Müdigkeit, und sie fiel in einen traumlosen Schlaf. Bei ihrem Erwachen stellte sie fest, dass es dem Sonnenstand vor dem Fenster zufolge bereits fast Mittag sein musste. Sie wusch sich rasch und zog Bluse, Rock und Schuhe aus Arcadion an. Zum einen spiegelte sich darin ihr persönlicher Protest gegen die Art, wie man mit ihr und ihren Freunden im Palast umging. Zum anderen war ihr gutes Untergewand ohnehin kaputt und musste erst repariert werden, bevor sie es wieder unter einem der geliehenen Kleider tragen konnte.
Als sie die Türklinke ihres Zimmers hinunterdrückte, stellte sie erfreut fest, dass sie nicht mehr eingeschlossen war. Allerdings saß ein Diener auf einem Stuhl vor ihrer Tür, genau wie am ersten Morgen auf Château Lune. »Stehe ich noch unter Arrest?«, erkundigte sie sich bei ihm.
»Nein, Mademoiselle«, antwortete er.
»Gut, dann lassen Sie doch bitte mein Unterkleid hier richten.« Sie hielt ihm das Gewand hin. »Ich werde jetzt etwas essen gehen, wenn es genehm ist.«
»Natürlich, Mademoiselle.«
So, wie sie angezogen war, eilte sie los, und es kümmerte sie auch nicht weiter, dass sie für ihre Kleidung einige verwirrte Blicke erntete. Als sie den Speiseraum erreichte, wappnete sie sich innerlich, bevor sie brüsk hineinmarschierte, womit sie sogleich die Aufmerksamkeit aller knapp zwanzig Anwesenden auf sich zog. Um nicht miterleben zu müssen, wie die Tuschelei einsetzte, ging sie nur zum Büffet hinüber, füllte sich einen Teller mit Speisen und verließ den Raum anschließend wieder. Sie lief zum Zimmer von Jonan und Pitlit, in der Hoffnung, dort auf den Straßenjungen zu treffen.
Vor der Tür stand ein Gardist. Caryas Herz macht einen Hüpfer in ihrer Brust. Hatte man Jonan in seinem Zimmer eingesperrt? Oder haben sie bloß Pitlit hier festgesetzt? »Verzeihung, was machen Sie hier?«, fragte sie den Wachmann.
»Ich sorge dafür, dass dieser Junge bleibt, wo er ist«, gab dieser mürrisch zurück.
»Sie meinen Pitlit?«
»Wenn er so heißt, dann ja.«
»Darf ich zu ihm? Ich habe etwas zu essen für ihn.« Sie hielt ihm den Teller hin.
Der Wachmann musterte sie schräg. »Sie sind das Mädchen, dessen Freund wir gestern festgenommen haben, weil er den Prinzen verprügelt hat,
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