Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
uns viel Ärger erspart geblieben.«
Jonan sagte nichts dazu. Zwar pflichtete er Pitlit im Grunde bei, aber ein kaltblütiger Mord aus dem Hinterhalt war etwas, das er niemals zustande bringen würde. Es war nicht nur feige, sondern auch schlichtweg falsch. Man sollte seine Probleme nicht durch Töten lösen, wenn es irgendeine andere Option gab.
Mit einem Ruck drehte er sich um und lief zur Tür. »He, Wache! Aufmachen! Bitte! Es ist wichtig.«
Er rechnete es den Gardisten des Mondkaisers hoch an, dass sie ihn nicht einfach ignorierten, sondern tatsächlich den Schlüssel im Schloss herumdrehten und die Tür einen Spaltbreit öffneten. »Was gibt es?«, knurrte der Mann, dessen Gesicht dahinter auftauchte.
»Ich muss mit dem Mondkaiser sprechen. Es ist eine Angelegenheit von höchster Dringlichkeit.«
Der Gardist gluckste. »Schon klar. Jetzt, wo du es sagst: Ich spüre auch ein gewisses Bedürfnis, seine Majestät auf einen Plausch zu treffen. In beiden Fällen gilt leider: Daraus wird nix.«
Er wollte die Tür schon wieder schließen, doch Jonan hielt ihn auf. »Halt, nein. Bitte warten Sie. Es geht um Leben und Tod, ich schwöre es Ihnen. Prinz Alexandre ist im Begriff, sich in höchste Gefahr zu begeben.«
»Und wie kommst du darauf?«
Immerhin etwas , dachte Jonan. Er hatte die Neugierde – oder die Sorge – des Wachmanns geweckt. »Hören Sie, ich habe gerade gesehen, wie der Prinz mit einigen Gardisten losgeritten ist. Ich weiß, dass er nach Paris will, um dort … um sich zu vergnügen. Aber ich komme gerade von dort. Und ich weiß zufällig, dass sich in den letzten Tagen eine antiroyalistische Bewegung gebildet hat. Sie geht gegen kaiserliche Soldaten vor, die sich in die Trümmerzone wagen.«
»Davon habe ich noch nie etwas gehört«, knurrte der Gardist.
»Es gibt sie ja auch erst seit ein paar Tagen, Licht Gottes noch mal! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Leute Waffen auf einem Schwarzmarkt gekauft haben, und gehört, wie sie sich dabei unterhalten haben.«
»Und warum haben Sie das nicht gestern schon gemeldet?«
»Weil ich es in all dem Trubel vergessen habe. Eben, als ich die Reiter sah, ist es mir wieder eingefallen. He …« Er breitete beschwörend die Arme aus. »Sage ich die Wahrheit, retten wir durch schnelles Handeln dem Prinzen das Leben und Sie erhalten einen Orden. Lüge ich, macht sich eine zweite Gruppe unnötig auf den Weg, meldet das nach der Rückkehr, und ich bekomme den Ärger. Was haben Sie also zu verlieren, wenn Sie mich zum Kaiser bringen?«
»Meinen Kopf, wenn er in der falschen Stimmung ist.«
»Dann lassen Sie mich mit jemand anderem sprechen. Mit … mit Paladin Julion Alecander. Er kennt mich. Wir haben früher zusammen gedient.« Das stimmte zwar nur im weitesten Sinne, aber Jonan war in diesem Moment bereit, die Wahrheit ein wenig freier auszulegen.
Der Wachmann seufzte. »Also schön, ich werde sehen, was ich tun kann.«
»Ich danke Ihnen. Und beeilen Sie sich. Wenn der Prinz erst Paris erreicht hat, weiß ich nicht, was passieren wird.«
»Ja, ja, ich habe verstanden.« Die Tür schloss sich wieder.
»Vielleicht haben wir Glück«, meldete sich Pitlit, der sich wieder aufs Bett geworfen hatte, zu Wort. »Der Wachmann trödelt, der Prinz erreicht die Gegend um den Invalidendom und wird dort von Kylian oder Mathis oder wie sie alle heißen umgepustet.«
»Hör auf, so zu reden, Pitlit«, ermahnte Jonan ihn. »Niemand soll umgepustet werden. Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
»Du bist einfach zu redlich«, brummte der Straßenjunge.
»Mag sein. Aber ich habe auch einiges wiedergutzumachen.« Dabei dachte Jonan an sein Jahr in der Tribunalpalastgarde und die Gräueltaten, an denen er als Schwarzer Templer beteiligt gewesen war. Ich kann besser sein, als ich es früher war , sagte er sich. Und heute beweise ich es einmal mehr.
Die nächsten Minuten zogen sich dahin. Man konnte das Gefühl bekommen, die Zeit habe sich gegen sie verschworen. Es juckte Jonan in den Fingern, erneut gegen die Tür zu hämmern und um Eile zu bitten. Aber was nutzte es? Den Wachmann, den es betraf, erreichte sein Ruf ohnehin nicht.
Nach einer knappen Viertelstunde rumorte es erneut im Türschloss, und der Wachmann winkte Jonan hinaus. »Kommen Sie.«
»Und ich?«, fragte Pitlit und sprang eifrig vom Bett.
»Du nicht«, sagte der Gardist und machte die Tür wieder zu. Er wirkte ein wenig nervös, was sich nicht zuletzt darin zeigte, dass er vergaß, den
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