Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Dummheit nennen«, erwiderte Jonan, der sich verwirrt fragte, auf was für ein Gespräch er sich hier eingelassen hatte.
»Dummheit wäre es gewesen, wenn Sie nicht gewusst hätten, wen Sie herausfordern«, erklärte der Kaiser. »Aber Sie wussten es, oder?«
»Ja.«
»Dann war es Mut – und den weiß ich zu schätzen, auch wenn ich Ihre Tat offiziell verurteilen muss. Noch zwei Minuten.«
»Ich … äh …« Der abrupte Wechsel brachte Jonan ins Schlingern. Er räusperte sich. »Eure Majestät, ich sah Euren Sohn vor zwanzig Minuten mit einigen Soldatenkameraden losreiten. Ist Euch bekannt, wohin sie unterwegs sind?«
»Mein Sohn reitet auf Patrouille entlang der Grenzen zur Wildnis«, sagte der Mondkaiser. »Es entspannt ihn, wenn er die Dinge bei Hofe für einen Augenblick vergessen möchte.«
Mit einem tiefen Atemholen schüttelte Jonan den Kopf. Er lehnte sich hier sehr weit aus dem Fenster. Aber es musste sein, wenn er Leben retten wollte. »Das ist so nicht ganz richtig, Eure Majestät.«
»Wie meinen Sie das?« Die Augen des Mondkaisers verengten sich.
»Euer Sohn und seine Männer reiten nach Paris, in die Trümmerzone. Ich habe ihn vor ein paar Tagen auf dem Weg dorthin getroffen. Dort gehen sie auf die Jagd – und ich fürchte, es sind Menschen, die sie jagen, Straßenkinder, um genau zu sein.«
Der Mondkaiser trat so nah an ihn heran, dass Jonan nicht einmal mehr den Arm hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. »Das sind sehr gefährliche Anschuldigungen«, sagte er leise.
»Ich weiß. Deshalb wollte ich sie auch Euch alleine vortragen.«
»Welche Beweise haben Sie dafür?«
»Keine, fürchte ich. Nur die Klage eines Mannes, der in der Trümmerzone lebt und sich dort um diese Kinder kümmert. Pitlit und ich waren für kurze Zeit seine Gäste, und er schilderte uns die Gräueltaten, die Soldaten in der Uniform des Hofes in den Straßen anrichten. Warum hätte er mir das erzählen sollen, wenn es nicht stimmen würde?«
»Vielleicht aus Verbitterung.«
»Vielleicht. Doch ich komme nicht nur zu Euch, um schlecht über Euren Sohn zu sprechen. Genau genommen möchte ich sein Leben retten. Denn seit gestern sind die Straßenkinder bewaffnet. Sie werden zurückschießen, wenn die Soldaten sie angreifen.«
»Und das wissen Sie, weil …?« Der Kaiser ließ die Frage in der Luft hängen.
»… ich ihnen diese Waffen beschafft habe«, antwortete Jonan. »Ich hatte Mitleid und wollte ihnen helfen. Natürlich wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass Euer Sohn unter den Menschenjägern ist. Nicht, dass das etwas geändert hätte.«
»Es scheint Ihnen Spaß zu machen, mit jedem Wort auf Messers Schneide zu tanzen«, stellte der Mondkaiser fest. »Aber ich spüre, dass Sie die Wahrheit sagen.« Mit einem Ruck wandte er sich ab und ging wieder zum Fenster hinüber.
Hinter Jonan wurde die Tür geöffnet. »Eure Majestät, die drei Minuten sind …«
»Raus!«, befahl der Kaiser mit unerwartet schneidender Stimme.
Die Tür wurde wieder geschlossen.
Einen Moment lang senkte sich Schweigen über den Raum. »Dieses Verhalten meines Sohnes …«, sagte der Mondkaiser, ohne sich zu Jonan umzudrehen. »Es ist abscheulich und eines Erben des Throns von Francia nicht würdig. Aber Alexandre suchte schon immer Genuss und Nervenkitzel in gleichem Maße. Es ist seine Schwäche. Über seine Frauengeschichten kann ich hinwegsehen. Ein junger Mann muss seine Erfahrungen sammeln. Aber dies hier geht zu weit.« Er wandte sich wieder zu Jonan um. »Niemand darf davon erfahren, hören Sie? Was in diesem Raum gesprochen wurde, bleibt in diesem Raum. Bekomme ich Wind davon, dass Sie dem zuwiderhandeln, lasse ich Sie hinrichten, ganz egal, ob mir das den Unwillen des Lux Dei einbringt oder nicht.«
»Ich verstehe«, sagte Jonan. Mit nicht weniger hatte er gerechnet.
»Was die Lage in diesem Moment angeht: Wissen Sie, wo in Paris er sich herumtreibt?«
»Nicht genau, aber ich habe eine ungefähre Vorstellung davon.«
»Dann halten Sie ihn für mich auf.«
Jonan blickte den Mondkaiser überrascht an. »Wie soll ich das anstellen? Er wird mich doch sicher erschießen, sobald er mich nur sieht.«
»Nicht, wenn Sie einen der Motorwagen des Hofs nehmen«, erwiderte der Kaiser.
»Und wird das genügen, um ihn davon zu überzeugen, dass ich in Eurem Namen spreche?«
» Das hier wird ihn überzeugen.« Der Mondkaiser zog einen Ring von seinem behandschuhten Finger und reichte ihn Jonan. Es handelte sich um
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