Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
einen Siegelring, dessen ovale Oberseite aus einem schwarzen Edelstein bestand, in den das silberne Rund eines Mondes eingearbeitet worden war. Ein sichelförmiger Teil bestand aus hellerem, beinahe weißlichem Metall. Das Wappen des Mondkaisers.
Nachdenklich drehte Jonan den Ring in seinen Händen. »Ich fühle mich geehrt, dass Ihr mich mit dieser heiklen Angelegenheit betraut. Aber warum? Bin ich nicht ein Fremder und Eindringling bei Hofe?«
»Das sind Sie«, sagte der Mondkaiser. »Doch ist es das Vorrecht des Kaisers, auch Fremden und Eindringlingen zu vertrauen. Zumal Sie einen Fürsprecher von einigem Einfluss besitzen. Und ich rede nicht von Madame Arida.«
Er klatschte laut in die Hände, um die Höflinge wieder hereinzurufen. »Und nun gehen Sie«, sagte er zu Jonan. »Nehmen Sie Capitaine Rochefort mit, einen meiner beiden Leibwächter vorne an der Tür. Er wird Sie sicher nach Paris bringen. Retten Sie diese Kinder, Templer Estarto. Und holen Sie meinen Sohn zurück.«
Kapitel 36
C arya stand am Fenster ihres Zimmers und schaute auf den dunkler werdenden Park hinaus. Eigentlich war es noch viel zu früh am Tag, um dunkel zu werden, aber am Horizont türmten sich schiefergraue Wolkenberge auf, die den kurz zuvor noch blauen Himmel mehr und mehr verschlangen. Ein kalter Wind pfiff durch die Ritzen des alten Fensters. Es würde Regen geben.
Mittlerweile hasste sie dieses Schloss. Sie hasste es nicht nur, weil es voller Lügen und Intrigen war, sondern auch und vor allem aufgrund seiner Ausmaße. So leicht es ihr gefallen wäre, durch das Fenster zu fliehen, sie hätte Jonan und Pitlit aufgeben müssen, weil sie einfach nicht wusste, wo man sie festhielt. Vielleicht saßen sie in ihrem Zimmer im Erdgeschoss oder sie waren in einem Keller in einem der Wirtschaftsgebäude am Osteingang der Anlage untergebracht. Die Truppen des Mondkaisers waren geschickt darin, ihre Gefangenen zu trennen und ihnen so den Ausbruch zu erschweren. Aber vermutlich handelten sie nicht einmal absichtlich so.
Eigentlich hatte Carya bis zur Gerichtsverhandlung ausharren wollen, um dort ihre Trümpfe auszuspielen. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto weniger hielt sie das für eine gute Idee. Sie hatte einmal zu lange gewartet, bevor sie zur Flucht angesetzt hatte. Den Fehler wollte sie nicht wiederholen. Zumal sich nun alle gegen sie verschworen hatten: Prinz Alexandre aus verschmähter Liebe, Aurelie aus glühender Eifersucht und Cartagena, um seinen eigenen Hals zu retten. Aurelie hatte sie bereits eine Dirne genannt, womit die Stoßrichtung der Anklage kaum Fragen offen ließ. Man würde sie als Intrigantin brandmarken, die sich den Thron zu erschleichen versuchte. Und wer wusste schon, welche Strafe in Francia auf so etwas stand. Mit Glück landete sie für lange Zeit in einem finsteren Kerkerloch.
Also gut , dachte Carya. Schritt eins: Ich verschwinde hier. Schritt zwei: Ich suche Pitlit und Jonan. Schritt drei: Ich knöpfe mir Cartagena vor.
Sie ging zum Bett hinüber und zog ihren Beutel darunter hervor. Kleidung, Regencape, Wolldecke. Mehr besaß sie nicht. Die Kette mit dem Schlüssel ihrer Kapsel hängte sie sich um den Hals. Die verbliebene Goldmünze schob sie in die Tasche der Hose, die sie danach statt des Rockes anzog. Bei einer Flucht war die Hose praktischer.
An ihrem ersten Tag im Schloss hatte Carya sich auf ihrem Parkspaziergang die Fassade angeschaut. Direkt unter ihrem Fenster lag ein schmales Sims, das sich nach links und rechts über die ganze Länge des Gebäudes zog, wobei es sich an den Ecken und in der Mitte des Bauwerks verbreiterte, weil sich darunter die säulengeschmückten Balkone der ein Stockwerk tiefer liegenden Gemächer der wichtigeren Gäste befanden. Dort hinunterzuklettern stellte eine ziemlich Herausforderung dar, der sie sich lieber nicht stellen wollte, wenn es nicht unbedingt nötig war.
Zum Glück gab es noch einen anderen Weg. Oberhalb des Fensters verlief eine steinerne Balustrade. Wenn es ihr gelang, sich auf dem Sims zu dem breiteren Teil vorzuarbeiten, konnte sie dort auf die Statuen klettern und mit deren Hilfe die Balustrade erreichen. War sie erst auf dem Dach, würde sie sich eine Regenrinne auf der anderen Seite des Bauwerks suchen und dort den Abstieg wagen.
Oder ich knacke doch das Türschloss und versuche mein Glück durchs Innere von Château Lune. Aber wer weiß, wie weit sich schon herumgesprochen hat, dass die Verführerin des Prinzen unter Arrest
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