Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Schlüssel im Schloss herumzudrehen, bevor er ihn herauszog. Jonan hielt es nicht für notwendig, ihn auf den Fehler hinzuweisen.
Sie gingen den Korridor hinunter und begaben sich über die Treppe in den ersten Stock. Dort bogen sie in den Mittelbau ein. Der Wachmann räusperte sich. »Ich habe den Paladin nicht gefunden. Allerdings kam mir seine Majestät auf dem Flur entgegen. Ich bat für einen Moment um des Kaisers Gehör, und er willigte ein. Um es kurz zu machen: Er wird Sie empfangen. Sie haben fünf Minuten. Machen Sie das Beste daraus. Und da sind wir schon.«
Sie erreichten eine prunkvoll verzierte Tür, vor der sich zwei leicht gerüstete Ehrengardisten postiert hatten. Mit unbewegten Mienen und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, ließen sie Jonan und den Wachmann passieren.
Der Raum dahinter entpuppte sich als ein kleiner Privatsalon mit Blick auf den Innenhof des Schlosses. Ein paar Sessel und niedrige Tischchen waren auf einem riesigen Teppich gruppiert. An den Wänden standen einige Sockel mit den Büsten Jonan unbekannter Männer. Ansonsten war der Raum leer. Es gab nichts, womit man sich hätte beschäftigen können, wenn man nicht bloß in die Luft starren wollte. Weder Obst noch Wein oder Wasser standen bereit. Im Kamin brannte auch kein Feuer. Wie es aussah, hatte der Mondkaiser diesen Raum spontan ausgewählt, um Jonan zu empfangen.
Der Kaiser stand am Fenster und wandte ihnen, während er auf den Hof schaute, den Rücken zu. Wie schon am gestrigen Abend war er in prachtvolles Blau und Silber gewandet. Der Schnitt seiner Kleidung hatte etwas Soldatisches. Jonan fühlte sich an die Feldherren erinnert, deren Gemälde im Ehrensaal der Templerakademie hingen. Das nährte in ihm die Hoffnung, dass der Kaiser bei aller nötigen Zurschaustellung von Glanz und Gloria im Kern ein pragmatisches Wesen hatte und man vernünftig mit ihm reden konnte.
Abgesehen vom Herrscher von Francia befanden sich noch drei Männer und eine Frau im Raum, die sein Gefolge zu sein schienen. Die Frau mit dem blauvioletten Kleid glaubte Jonan gestern auf dem Ball gesehen zu haben. Ganz sicher war er sich aber nicht.
»Eure Majestät«, meldete sich der Wachmann zu Wort.
Der Mondkaiser drehte sich zu ihnen um, was Jonans Begleiter zu einer tiefen Verbeugung veranlasste. Jonan verbeugte sich ebenfalls. Respekt zu erweisen schadete nicht, wenn man als unwillkommene Person ein Anliegen vorzutragen hatte.
»Sie wollten mich sprechen?«, sagte der Mondkaiser. Seine Silbermaske ließ keinerlei Ausdruck zu. Nur in der geschminkten Mundpartie gab es Bewegung. Seine Augen waren von einem intensiven Blau, das beinahe unnatürlich wirkte.
»Ja, Eure Majestät«, antwortete Jonan. Er warf einen Blick auf die Höflinge. »Wenn Ihr es erlaubt: unter vier Augen.«
Zwei der Höflinge schauten etwas pikiert ob dieser Bitte. Der Mondkaiser musterte Jonan kurz. Dann hob er die Hand und machte eine winkende Geste. Ohne ein Widerwort verließen alle Anwesenden den Raum. Jonan musste zugeben, dass ihn diese wortlose Machtdemonstration beeindruckte. »Drei Minuten«, sagte der Kaiser, ob zu dem Diener, der soeben die Tür schloss oder zu Jonan, vermochte dieser nicht zu sagen.
»Es geht um Euren Sohn, Majestät«, begann er, um keine Zeit zu verlieren. »Ich …«
»Sie haben ihn niedergeschlagen, nicht wahr?«, unterbrach ihn der Kaiser.
Jonan schluckte. Darüber wollte er mit dem Herrscher von Francia eigentlich lieber nicht sprechen. Die Worte Paladin Alecanders kamen ihm in den Kopf: Ein Templer zu sein, bedeutet mehr, als nur eine Uniform zu tragen. Es ist eine Frage des Mutes und der Aufrichtigkeit. Er straffte die Schultern. »Ja, Eure Majestät. Ich konnte nicht anders. Er hat sich Carya, der Frau, die ich liebe, gegenüber absolut schändlich verhalten. Ich sage das in dem vollen Wissen, dass Ihr mich für so eine Frechheit jederzeit töten lassen könntet. Aber es ist die Wahrheit.«
»Ich weiß«, erwiderte der Mondkaiser zu Jonans Verblüffung. Mit bedächtigen Schritten kam er näher. Seine stechend blauen Augen schienen direkt in Jonans Innerstes zu blicken. Es war ein unangenehmes und unheimliches Gefühl, das dazu verlockte, die Augen niederzuschlagen. Aber Jonan widerstand ihm. »Ich verurteile Sie nicht«, fuhr der Kaiser fort. »Im Gegenteil, ich beglückwünsche Sie. Es gibt nicht viele, die den Mut hätten, meinem Sohn die Stirn zu bieten, ganz gleich, wie er sich aufführt.«
»Man könnte es statt Mut auch
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