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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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gestellt wurde. Wie man es drehte und wendete, leicht würde ihre Flucht nicht sein. Es war zum Verrücktwerden.
    Sie hatte soeben entschieden, den Weg übers Dach zu wählen und mit den ersten Regentropfen, wenn sich alle Parkspaziergänger in den Palast flohen, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, als sich plötzlich jemand am Zimmertürschloss zu schaffen machte. Ein Schlüssel, der nicht recht passen wollte, wurde herumgedreht. Dann ging die Tür auf, und Cartagena stahl sich in den Raum.
    Beim Anblick des Mannes, der ihr eben erst in den Rücken gefallen war, kochte Zorn in Carya hoch. »Sie!«, fauchte sie. »Sie wagen es, mich aufzusuchen? Ich könnte Sie umbringen!«
    »Ja, vermutlich«, pflichtete der Botschafter ihr bei. »Deshalb hielt ich es für sinnvoller, nicht ohne Schutz zu kommen.« Er zog eine schwarze Pistole von einer Bauart hervor, die Carya noch nie gesehen hatte. Der Lauf war ungewöhnlich lang und bestand aus einem fast zwei Finger durchmessenden Zylinder. Cartagena richtete die Waffe auf Carya.
    Ein Adrenalinstoß jagte durch ihren Körper. Instinktiv wich sie zwei Schritte zurück. »Was soll das?«, fragte sie. »Wollen Sie mich erschießen?«
    Der Botschafter schnaubte. »Nur wenn es sein muss. Aber ich täte es sehr ungern, denn ich brauche dich noch.«
    Carya fiel auf, dass er auf einmal jede Höflichkeitsform in der Anrede unterließ. Doch das war gegenwärtig ihr geringstes Problem. »Wofür?«, fragte sie. »Was für ein Spiel spielen Sie diesmal?«
    »Das wirst du früh genug erfahren. Und nun zieh dein blaues Kleid, die Schuhe und das Medaillon an, die ich dir geschenkt habe. Die Gardisten kommen in ein paar Minuten, um dich zur Gerichtsverhandlung abzuholen. Da sollst du hübsch aussehen.« Er zog ein frisches Untergewand aus seiner Jacke und warf es ihr mit der linken Hand zu. Gleichzeitig wedelte er auffordernd mit der Pistole.
    Wären Blicke Dolche, hätte Carya Cartagena in diesem Moment aufgespießt. So viel zu ihren Fluchtplänen. »Warum tun Sie mir das an?«, fragte sie, als sie hinter den provisorisch geflickten Wandschirm trat und sich umzuziehen begann.
    »Falsch!«, zischte Cartagena. »Warum tust du mir das an? Ich hatte alles zeitlich so schön geplant. Heute Nacht sollte es zum Anschlag auf den Mondkaiser kommen. Alle Hinweise hätten auf die Sondergesandte gedeutet. Alexandre, aufbrausend wie immer, hätte sie umbringen lassen. Und vorbei wäre es mit dem Frieden zwischen Arcadion und Francia gewesen.«
    »Und was betrifft mich das, wenn Sie den Mondkaiser erschießen wollen?«
    »Nicht ich hätte ihn umgebracht, du hättest es getan!«
    Auf einmal wurde Carya eiskalt, und es lag nicht daran, dass sie noch nicht in ihr Kleid geschlüpft war und bloß im Untergewand dastand. »Nein«, widersprach sie. Ihre Stimme klang erstickt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Das würde ich niemals tun.«
    »Natürlich würdest du«, knurrte Cartagena. »Genau, wie du ohne zu zögern Magister Milan umgebracht hast.«
    Carya begann zu zittern. Entsetzen kroch wie ein hungriges Ungeheuer aus einer finsteren Grube ihres Bewusstseins. Also hatte sie in jener Nacht keine Vision erlebt. Es war tatsächlich sie gewesen, die einem Schatten gleich die Palastkorridore unsicher gemacht hatte, in der Absicht, einen Mann umzubringen, der immer nur freundlich zu ihr gewesen war. »Aber wie ist das möglich?«, flüsterte sie fassungslos. »Und warum Milan? Er gehörte doch, wie Sie, zu dieser … Erdenwacht. Hatte es etwas mit der Notiz zu tun, die er mir zugespielt hat? Er behauptete zu wissen, wer ich wirklich sei. Aber bevor er es mir am Morgen im Park verraten konnte, kam er ums Leben.«
    Cartagena verzog die Miene zu einem humorlosen Lächeln. »Oh, sehr gut. Da ereilte ihn der Tod ja keine Minute zu früh. Denn, ja, es hatte damit zu tun, dass er dir zu schnell zu viel verraten wollte. Es war noch nicht alles bereit für den großen Moment. Womöglich wärst du sogar weggelaufen, nachdem Milan dir alles gesagt hätte.«
    »Was hätte er mir denn gesagt?« Carya, die sich mittlerweile umgezogen hatte, trat hinter dem Wandschirm hervor und machte drohend einen Schritt auf den Botschafter zu.
    Der hob warnend die Pistole. »Vorsicht, Mädchen. Ein Schritt näher, und ich schieße. Wenn alles gut läuft, muss keiner von uns sterben.«
    »Hier läuft gar nichts, wenn Sie mir nicht langsam die Wahrheit sagen. Schon vom ersten Abend an wussten Sie mehr, als Sie bereit waren, zuzugeben, nicht

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