Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
über das Schanzkleid des Waffenturms, um außen am Wagen hinunterzurutschen. Er lief ein paar Schritte den Tunnel zurück und ging in die Hocke. Vor ihm lag Pferdekot. Und er wirkte noch ziemlich frisch. Zufrieden nickte Jonan. »Wir sind auf dem richtigen Weg«, erklärte er Rochefort, als er wieder in den Wagen stieg.
Wie vom Donner gerührt stand Carya da. »Eine Künstliche?«, hauchte sie. »Aber das kann nicht sein. Ich habe einen Bauchnabel.«
»Ach Gott, die alte Geschichte mit dem Bauchnabel.« Cartagena schüttelte beinahe erheitert den Kopf. »Wir leben fast fünfzig Jahre nach dem Sternenfall, Carya. Es gibt längst Techniken, Invitros ohne diesen offensichtlichen Makel zu züchten – zumindest wenn man über die richtige Ausrüstung verfügt. In deinem Fall waren wir sogar besonders darauf bedacht, dich wie einen Menschen aussehen zu lassen, denn du solltest unerkannt unter ihnen leben.«
Carya kniff die Augen zusammen. Langsam fielen die Puzzlesteine des gewaltigen Mosaiks ihrer unbekannten Vergangenheit an ihren Platz. Die futuristische Kapsel, in der ihr Vater sie gefunden hatte, der Umstand, dass sie fast nie krank geworden war, die unfassbaren Fähigkeiten, die sich plötzlich aktiviert hatten – vermutlich durch den Schock der Ereignisse in der Richtkammer –, und schließlich ihr Gefühl, schon einmal Francianisch gelernt zu haben: Das alles waren Folgen des Plans der Erdenwacht gewesen. »Ich sollte also für die Erdenwacht nach Paris gehen, um dort am Hof des Mondkaisers aufgenommen zu werden?«
»Richtig«, bestätigte Cartagena.
»Und dann sollte ich den Mondkaiser umbringen? Mit sechs Jahren?«
»Wenn es nötig geworden wäre: ja. Aber eigentlich sah unsere Zielsetzung anders aus. Du solltest von Magister Milan, den wir ein paar Jahre zuvor am Hof als Agenten untergebracht hatten, in die feine Gesellschaft eingeführt werden. Dann solltest du dem Prinzen vorgestellt und mit ihm verlobt werden, um an seiner Seite zu regieren. Der Kaiser war damit einverstanden. Genau genommen hatte er › die perfekte Frau ‹ für seinen Sohn bei uns bestellt. Natürlich wusste er nicht, dass wir eine Extraprogrammierung eingefügt haben, sollte es nötig werden, die Kaiserin in eine Killerin zu verwandeln.«
Die perfekte Frau , hallten die Worte Cartagenas in Caryas Kopf nach. Jetzt konnte sie sich auch endlich diese seltsame Anziehung erklären, die Alexandre auf sie ausübte. Man hatte sie so geschaffen, dass sie ihn attraktiv finden würde. Und dass er ihr verfallen musste. Es war erschreckend, wie trefflich der Plan von Cartagenas Leuten auch Jahre später noch aufgegangen war. Hätte Carya nicht zuvor Jonan kennengelernt und sich in ihn verliebt, wäre sie sofort bereit gewesen, Alexandres neue Frau zu werden und Aurelie vom Thron zu stoßen.
»Aurelie …«, murmelte sie. Plötzlich sah sie auch die Versprochene Alexandres, die ihr selbst so ähnlich sah wie eine Schwester, mit anderen Augen.
»Tja«, brummte Cartagena. »Das war unser zweiter Versuch, nachdem dein Raketenflugzeug aus unerklärlichen Gründen auf dem Flug nach Paris verschwand. Wir standen ein wenig unter Zeitdruck, weswegen sie uns nicht ganz so gut gelungen ist. Ihr mangelt es an vielen deiner Gaben. Und ihr Geist erwies sich als … sagen wir mal: instabil. Sie hat dem lieben Magister, der sich um sie kümmern sollte, ziemlich viel Ärger bereitet. Ich kann mir gut vorstellen, wie erfreut er war, seine echte Aurelie, dich, eines Tages bei Hofe zu treffen.«
»Woher wusste er, wer ich bin?«
»Oh, wir haben vor deiner Erschaffung Entwicklungsstadien simuliert. Um zu schauen, ob du zu der Frau werden würdest, die wir haben wollten. Und da Milan nicht unwesentlich an diesem Projekt beteiligt war, kannte er dein Aussehen natürlich. Ich bezweifle trotzdem, dass er dich auf der Stelle erkannt hat. Genau wie ich, wird er sich wohl zuerst rückversichert haben. Es ist beinahe tragisch. Milan war für dich sicher das, was bei einer Invitro einem Vater am nächsten kommt. Er hat geholfen, dich zu erschaffen. Er war dabei, als du programmiert wurdest. Ich weiß noch, wie zögerlich er damals war. Wir haben dir ziemlich viel zugemutet – das mussten wir. Es hat ihm nie gefallen.«
Carya kam die Vision in den Sinn, die sie während ihrer Folterung durch Inquisitor Loraldi erlebt hatte. Da waren zwei Männer gewesen, Schatten nur in einem Raum aus weißem Licht. Keine Angst, Kind , hatte der eine zu ihr gesagt. Es hatte beinahe
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