Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
liebevoll geklungen.
Ich habe meinen Vater umgebracht , dachte Carya voller Schrecken. Gnädiges Licht Gottes, Cartagena hat mich dazu gebracht, meinen Vater zu töten.
Eine nie gekannte Wut auf diesen Mann, der so selbstgerecht mit seiner Pistole vor ihr stand, brandete in ihr auf. Die Kriegerin, nein, die Attentäterin, übernahm die Kontrolle über ihr Handeln, und diesmal hieß Carya sie mit Freuden willkommen.
Mit einem Schrei warf sie sich Cartagena entgegen, und es war ihr gleichgültig, ob er auf sie schoss oder nicht. Sie würde ihn töten, bevor er sie töten konnte. Dessen war sie sich sicher.
Doch er drückte nicht ab. Er machte überhaupt keine Anstalten, sich zu wehren. Stattdessen sagte er nur ein Wort: »Nemesis.«
Mehr und mehr begann sich die Straße zu verzweigen, und damit vervielfachten sich die möglichen Wege, die Alexandre und seine Männer genommen haben konnten. »Was machen wir?«, fragte Rochefort. »Einholen werden wir seine Hoheit jetzt wohl nicht mehr. Er könnte überall entlanggeritten sein.«
Zähneknirschend musste Jonan dem Capitaine recht geben. Obwohl sie alles an Tempo aus dem Wagen herausgeholt hatten, waren sie einfach zu langsam gewesen. Der Aufenthalt im Schloss hatte zu lange gedauert, möglicherweise nur fünf Minuten, aber diese fünf Minuten hatten Alexandre und seinen Leuten genügend Vorsprung verschafft, sodass sie jetzt in der Ruinenlandschaft verschwunden waren.
Jonan wünschte sich, dass er den Navigator bei sich hätte, um nach wahrscheinlichen Wegen zu suchen, aber der lag gut verpackt bei Bonasse im Invalidendom. Der Invalidendom , dachte er. Alexandres Jagdgebiet musste in dieser Gegend liegen, denn es war kaum anzunehmen, dass sich Bonasses Kinder mehr als ein paar Kilometer von ihrem Heim entfernten. »Wir müssen weiter nach Nordosten«, entschied er. »An den Rand des großen Kraters. Südlich davon, dort wo dieser riesige Metallturm aufragt, sollten sie irgendwo sein. Am besten fahren wir am Flussufer entlang. Dann müssten wir automatisch dorthin gelangen.«
»Haben wir überhaupt eine Chance, den Prinzen zu finden?« Rochefort warf Jonan einen zweifelnden Blick zu, während er den Wagen über eine Rampe hinunter zum Flussufer lenkte. »Diese Trümmerwüste ist riesig.«
»Uns bleibt keine andere Wahl, als es zu versuchen. Leben hängen davon ab – auch seins.«
»Dann hoffe ich, dass Sie eine gehörige Portion Glück mit an Bord gebracht haben.«
Jonan machte ein finsteres Gesicht. »Spätestens wenn das Schießen beginnt, haben wir eine Spur.«
Kapitel 37
D ie Welt versank wie in einem Traum. Der Schatten, der eben noch Cartagena gewesen war, trat furchtlos an sie heran, und er gab ihr Befehle – Befehle, die im nächsten Augenblick in ihrem Inneren zu dem festen Willen reiften, genau so zu handeln. Carya versuchte, sich dagegen zu wehren, den Schlag zu Ende zu führen, den sie soeben gegen den Botschafter hatte ausführen wollen. Aber ihr Körper verweigerte ihr den Dienst.
Seelenruhig warf Cartagena das Magazin der Pistole aus, prüfte den Ladestand und schob es dann in den Griff zurück. Er reichte ihr die Waffe. Töte ihn! , schrie Carya in Gedanken. Doch statt abzudrücken, steckte sie die Waffe durch einen verborgenen Schlitz in den weiten Falten ihres blauen Kleides in ein Oberschenkelholster. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, es überhaupt angelegt zu haben. Dann streifte sie die silberblauen Handschuhe über, die der Botschafter ihr gab. In den Handflächen befanden sich zierliche Metallgeflechte, deren Sinn sich ihr auf den ersten Blick nicht erschloss.
»Viel Erfolg, Aurelie Eins«, flüsterte Cartagena ihr zu, bevor er den Raum verließ.
Carya vermochte nicht zu sagen, wie lange sie wartend dagestanden hatte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als überspringe ihr Geist eine unbestimmte Zeitspanne, in der sie einfach nicht existierte. Und so hatte sie kaum dreimal geblinzelt, als sich die Tür erneut öffnete und zwei Gardisten im Türrahmen standen.
»Mademoiselle Diodato, bitte begleiten Sie uns«, sagte der eine.
Verschwindet, ich werde euch ermorden , rief Carya ihnen zu. »Natürlich«, sagte sie artig.
Mit vor dem Bauch gefalteten Händen folgte sie den beiden Männern durch die Korridore des Schlosses, ein flüchtiges Phantom in der Hülle eines Automaten. Alles um sie herum erschien ihr überdeutlich und trotzdem verschwommen. Es war, als wären ihre Sinne enorm geschärft – so, wie sie es aus Momenten, in
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