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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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gemeinschaftlich.
    Auf Caryas Bitte hin grub Jonan eine etwa fünfzig Zentimeter tiefe Mulde unweit eines einzelnen verwachsenen Baumes. Als er fertig war, kniete sich Carya hin und stellte die Holzkiste vor sich. Eins nach dem anderen zog sie all die Dinge, die sie aus Rajaels Wohnung vor dem Zugriff der Inquisitoren gerettet hatte, hervor und bettete sie behutsam hinein: das Kästchen mit der silbernen Halskette und dem schmalen Ring, Schmuckstücke, die Tobyn Rajael geschenkt haben mochte; das gerahmte Foto mit Rajaels Eltern, die gar nicht ihre Eltern sein konnten, weil Caryas Freundin doch in einem Tank zur Welt gekommen war; den Abschiedsbrief, den Rajael an Carya verfasst hatte – und noch einiges mehr.
    Während sie so Stück für Stück ihre Freundin zu Grabe trug, stiegen Carya die Tränen in die Augen. Sie ließ es zu. Sie wollte weinen, wollte heute Nacht um ihre Freundin trauern. Es war einfach schrecklich unfair, dass ausgerechnet Rajael, die selbstbewusste, lebenslustige Rajael, am Ende so verzweifelt gewesen war, so ohne Hoffnung auf eine Zukunft, dass sie Gift genommen hatte. Die Inquisition des Lux Dei, Männer wie Loraldi und Aidalon, hatten ihr Leben zerstört, und das nur, weil sie anders gewesen war, eine Künstliche. Loraldi hatte für seine Taten bezahlen müssen. Er war auf dem Quirinalsplatz von den Kugeln des Phantom -Hubschraubers zerfetzt worden. Doch Aidalon lebte noch und zerstörte weiter die Existenzen anderer. Wir sind noch nicht fertig miteinander, Großinquisitor , schwor sich Carya.
    Als sie Rajaels Tagebuch mit dem gemusterten Stoffumschlag in die Hand nahm, verspürte sie einen zusätzlichen Stich des Bedauerns. Sie hatte es nie geschafft, darin zu lesen. Aber vielleicht war das auch ganz gut so. Ein Tagebuch gehörte der Person, die es schrieb, ganz allein. Die Geheimnisse, die diesen Seiten anvertraut wurden, waren nicht für anderer Leute Augen bestimmt. Und auch wenn Carya annahm, dass Rajael es ihr erlaubt hätte, in dem Buch zu lesen, war es vielleicht besser, dass sie es nicht getan hatte. Es hätte den Verlust der Freundin nur noch schlimmer gemacht. Wenn ich zurückkehre , dachte Carya. Wenn alle Fragen beantwortet sind und ich hierher zurückkommen sollte, genau wie die Ausgestoßenen, dann werde ich es lesen. Und dann werde ich wieder um dich weinen, Rajael. So wie jetzt.
    Das Buch war das letzte Stück, das Carya in die Kiste legte. Sie klappte den Deckel zu, und Jonan ergriff das Behältnis stumm und legte es in die Mulde. Dann schaufelte er Erde darüber, und zum Schluss legte er ein paar Steine auf das Grab, damit man es wiederfinden konnte. Die ganze Zeit über hatte er kein Wort gesagt, hatte nicht versucht, Carya durch lahm klingende Beileidsbekundungen Trost zuzusprechen. Dafür war sie ihm dankbar. Diese kleine Zeremonie, diesen privaten Abschied von ihrer Freundin, hatte sie alleine vollziehen wollen.
    Nun aber kam sie auf die Beine und trat zu ihm. Er schien zu verstehen, denn er rammte die Schaufel in den Boden und schloss sie wortlos in die Arme. Eng umschlungen standen sie da, Carya Halt suchend, Jonan tröstend, während über ihnen die fernen Sterne glitzerten.
    Am nächsten Morgen, am späten Vormittag, war es so weit. Carya, ihre Eltern und Jonan luden ihr weniges Hab und Gut auf die mit einer Plane verdeckte Ladefläche des Lastwagens, der unterhalb des Dorfs hinter einigen Büschen versteckt stand und auf dem schon Jonans Templerrüstung verzurrt lag. Die Dorfbewohner hatten sie mit Proviant für zwei Tage eingedeckt. Bis dahin sollte es ihnen möglich sein, weitere Nahrung zu finden.
    Irgendwann gesellte sich auch Pitlit zu ihnen. Der Straßenjunge nickte ihnen zu und grinste breit. »Ich weiß nicht, wie eure Nacht war, aber meine war gut«, verkündete er. Carya wollte gar nicht so genau wissen, was er damit meinte. Sie war nur froh, dass ihre Mutter nicht in der Nähe war, als er das sagte.
    »Habt ihr euch ausgesprochen?«, fragte sie.
    »Auch das«, gab Pitlit zurück. »Sie hat mir gesagt, dass sie auf mich warten wird. Und ich habe ihr geschworen, dass ich sie suchen werde, sobald unsere Reise vorbei ist.«
    »Dann ist ja alles gut.« Carya lächelte. »Ich bin froh, dass ihr euch einig seid.«
    »Ja, ich auch.«
    Schließlich nahmen sie Abschied: von Ordun, Mablo und Petas, von Doktor Nessuno und seiner Frau und all den anderen. Zuletzt tauchte auch Suri noch einmal auf. »Pass auf dich auf, Pitlit«, sagte sie, als sie den Straßenjungen

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