Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
der Ausgestoßenen erwacht. Jetzt befanden sie sich fern davon an der Küste am Rand der Einflusssphäre des Lux Dei.
»Schauen wir mal, ob wir hier eine Nacht bleiben können«, sagte Caryas Mutter, »und ob wir jemanden finden, der uns eine Weiterreise ermöglichen kann. Sehe ich das richtig so, dass dein Vater und ich von nun an nur noch für uns planen müssen?«
»Ja, ich glaube schon«, antwortete Carya. »Wir bleiben zwar über Nacht noch hier bei euch, aber danach …« Sie sah ihre Mutter an. Das Wort »Abschied« lag in der Luft, doch sie wollte es noch nicht aussprechen.
Ihre Mutter lächelte ihr tapfer und aufmunternd zu. »Es wird schon alles gut gehen«, sagte sie und strich Carya über den Arm.
»Was habt ihr also als Nächstes vor?«, wollte ihr Vater wissen.
»Jonan und ich sehen uns mal ein wenig in der Stadt um.«
Jonan sah sie überrascht an. »Ach ja?«
»Prima, ich komm mit«, rief Pitlit, der in den letzten Minuten wieder munterer geworden war. »Ich hab so lange auf dieser Ladefläche gesessen, dass mein Hintern schon ganz platt ist.«
»Bleibt nicht zu lange fort«, ermahnte Caryas Vater sie. »Es wird bald dunkel, und Jonan hat uns ja schon gewarnt, dass hier einiges an Gesindel unterwegs ist.«
»Keine Sorge. Wir sind in spätestens zwei Stunden wieder da«, beruhigte Carya ihn.
»Wenn nicht, ruft die Stadtwache«, tönte Pitlit. »Oder nee, vielleicht besser nicht.« Er feixte, aber niemand ging auf seinen Versuch eines Scherzes ein.
Die drei stiegen aus dem Lastwagen, und Carya führte Jonan und Pitlit die Straße hinunter.
»Verrätst du mir, was du vorhast?«, fragte Jonan.
»Gerne. Als ich vorhin darüber nachdachte, dass Livorno am Meer liegt, kam mir ein Gedanke. Warum versuchen wir nicht, mit einem Schiff nach Paris zu gelangen? Das dürfte doch viel leichter sein, als sich wochenlang durch die Einöde von Francia zu schlagen.«
Überrascht hob Jonan die Augenbrauen. »Das wäre tatsächlich denkbar. Aber stell dir das nicht zu einfach vor. Auch eine Seefahrt dauert sicher eine ganze Weile, denn wir müssen Spaniar umsegeln, was ein ziemlicher Umweg ist. Außerdem gibt es da draußen Piraten, wie du sicher weißt.«
»An Land lauern uns Wegelagerer auf – und von denen existieren bestimmt viel mehr als Seeräuber, oder nicht?«
»Zugegeben. Bloß gibt es auf dem Meer kein Entkommen, wenn sie dich einmal aufgespürt haben.«
»Dann kämpfen wir eben gegen sie«, sagte Carya.
Jonan warf ihr einen eigentümlichen Blick zu. »Diese Lösung fällt dir neuerdings erstaunlich leicht. Pass auf, dass du nicht zu etwas wirst, was du nicht sein willst.«
Er hat recht , erkannte Carya. Früher wäre ich nicht mal auf den Gedanken gekommen, mich mit jemandem anzulegen, der mir gefährlich werden könnte. Ich wäre weggelaufen. Andererseits war es doch ihr gutes Recht, sich zu verteidigen, wenn sie angegriffen wurde. »Unsinn«, behauptete sie daher. »Das kommt dir nur so vor, weil unser Leben in den letzten Wochen so aufregend war.«
»Na schön, wie auch immer. Ob uns der Seeweg in Richtung Paris – oder eine Küstenstadt nahe Paris – überhaupt offen steht, entscheiden nicht wir, sondern die Kapitäne, die wir hier finden. Vielleicht erklärt sich überhaupt keiner bereit, eine so lange Fahrt nur für uns auf sich zu nehmen.«
»Das werden wir sehen«, sagte Carya.
»Toll!«, rief Pitlit. »Wir fahren übers Meer. Das wollte ich schon immer mal. Während ihr das Deck schrubbt und Kartoffeln schält, sitze ich im Ausguck und halte nach Piraten Ausschau.« Er schien für Caryas Plan sogleich Feuer und Flamme zu sein.
Doch das Unterfangen war leichter in Angriff genommen als umgesetzt. Als sie den Hafen erreichten, fanden sie dort zwar tatsächlich einige Schiffe vor, kleine und größere Handelssegler. Keiner der Kapitäne schien allerdings erpicht darauf zu sein, die Fahrt zu wagen. »Ich bringe euch gerne an die Südküste von Francia, wenn ihr dafür zahlen könnt«, sagte einer von ihnen, der nicht gleich abwinkte, als sie ihm ihr Ziel nannten. Es handelte sich um einen wettergegerbten Mann mit stattlichem Bauch, der aussah, als fahre er schon von Kindesbeinen an zur See. »Aber durch die Meerenge kriegen mich keine zehn Fässer Diesel«, fuhr er fort. »Das könnt ihr vergessen. Zu gefährlich.«
»Die Meerenge?«, wiederholte Carya.
»Gibral-Taar«, brummte der Mann. »Dort treiben sich die Freibeuter der Krone von Spaniar herum. Haben da zwei Festungen,
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