Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Lichtfinger glitten langsam auf ihre Position zu. Weiter vorne in der Meerenge drehte die Korvette bei.
    »Wir müssen in der Nähe des Patrouillenboots bleiben!«, schrie Denning, der gerade an der Reling irgendeine Waffe zusammenschraubte, in Richtung des Ruderhauses. Dort hatte Hook ein Fenster geöffnet, um die Verständigung zu erleichtern. »So haben die Festungskanonen kein freies Schussfeld. Die werden ja kaum auf ihre eigenen Leute schießen.«
    Als hätte das auch der Kapitän des Patrouillenboots begriffen, gab das Boot auf einmal Vollgas und versuchte, etwas Distanz zwischen sich und die Albatros zu bringen. Gleichzeitig begann ein Schnellfeuergewehr zu hämmern, und Querschläger sausten jaulend durch die Nacht.
    »Dort vorne«, sagte Jonan zu Carya und Pitlit. Er deutete auf eine Verschanzung mittschiffs, unweit von Denning. »Da suchen wir Deckung.« Mit eingezogenen Köpfen liefen sie hinüber und gingen hinter der beruhigend stabil aussehenden Metallplatte in die Hocke.
    »Wir stecken ganz schön in der Tinte«, stellte Pitlit das Offensichtliche fest.
    »Irgendwann musste es passieren«, knurrte Jonan. »Ich hatte mich schon gewundert, wie weit wir ohne einen Kampf gekommen sind. Nicht, dass ich scharf darauf wäre zu kämpfen.« Er legte sein Templersturmgewehr an, schaute durch das Zielfernrohr und richtete den Lauf auf ihre Feinde. In kurzen, kontrollierten, aber dennoch ohrenbetäubend lauten Feuerstößen beharkte er das Patrouillenboot.
    Carya ballte unwillkürlich die Fäuste. Adrenalin pumpte durch ihren Körper, und alle ihre Sinne schärften sich. Etwas in ihr wollte ebenfalls den Kampf aufnehmen, aber sie hatte keine Waffe und sah im Dunkeln auch keine Ziele außer dem über die Wellen jagenden Stahlrumpf des kleinen Spaniarden-Schiffs. Sie konnte nichts tun, und das frustrierte sie mehr, als sie für möglich gehalten hätte.
    An der Küste nördlich von ihnen hallte Kanonendonner durch die Nacht. Carya sah winzige Mündungsfeuer aufblitzen. Der Umstand, dass sie sie auf drei oder vier Seemeilen Entfernung überhaupt sehen konnte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
    Der Motor der Albatros grollte auf, als Géant das Schiff eine Wende fahren ließ, um dem Beschuss zu entgehen. Carya konnte sich nicht vorstellen, dass das ihre Chancen, nicht getroffen zu werden, wesentlich verbesserte. Soweit sie das Ganze verstand, feuerten die Schützen dort drüben mehr oder minder nach Gefühl und korrigierten von Einschlag zu Einschlag den Lauf der Kanone. Es bestand also genauso viel Gefahr, bei einem Ausweichmanöver mitten in einen Fehlschuss hineinzufahren, wie bei gerader Flucht einen Volltreffer zu kassieren.
    Dieser Schuss ging daneben und platschte gute fünfzig Meter entfernt harmlos in die Wellen. Erst als sich Caryas verkrampfte Hände lockerten, merkte sie, dass sie unbewusst Pitlit an sich gezogen hatte, so als könne sie den Jungen vor den Kanonenkugeln schützen. Obwohl er sonst nie um einen dummen Spruch verlegen war, sagte Pitlit diesmal nichts. Im unsteten Licht der Suchscheinwerfer wirkte er bleich wie ein Bettlaken.
    Kein Wunder , dachte Carya. Als Straßenjunge schreit alles in ihm danach, wegzulaufen und sich vor der Gefahr zu verstecken. Nur kann man sich hier nirgendwo verstecken. Entsprechend fühlte er sich wahrscheinlich ähnlich hilflos wie sie.
    Erneuter Kanonendonner, diesmal aus dem Süden, war zu hören. Wieder ging der Schuss daneben, wenn auch nur knapp.
    »Die wollen es wirklich wissen«, knurrte Jonan grimmig. Er hielt sein Gewehr noch immer im Anschlag, hatte aber aufgehört zu schießen, weil es in der Dunkelheit und auf die Entfernung ohnehin wenig Sinn machte. Dennings Männer schien dieser Umstand weniger zu stören – oder sie waren zu aufgeregt, um ihn überhaupt zu bemerken. Jedenfalls standen sie überall an der Reling, schrien Verwünschungen und schossen in Richtung des Patrouillenboots und der Korvette, die sich gemächlich wie ein Raubfisch, der sich seiner im Wasser treibenden Beute sicher ist, näherte.
    Am Bug nahm nun auch das Sturmgeschütz das Feuer auf und jagte Leuchtspuren über die schwarzen Wellen. Der Lärm brachte ihre Trommelfelle zum Klingen, und das Vibrieren des mit Höchstgeschwindigkeit durch die Meerenge rauschenden Schiffs war am ganzen Körper zu spüren.
    Ein Kanonenschuss schlug direkt vor dem Bug der Albatros ein, schleuderte eine Fontäne eisigen Wassers in die Luft und ließ die Männer aufschreien.
    »Daneben!«,