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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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Loch von mehreren Metern Durchmesser, durch das man auf eine im Keller liegende Säulengalerie blicken konnte. In deren Zentrum wiederum befand sich ein Steinsockel, auf dem einst wohl entweder eine Statue oder ein weiterer Sarg gestanden hatte. Reste von Blattgold auf den Zierelementen des Raums sowie rußige Deckenmalereien zeugten davon, dass der Kirchenraum früher von ausgewählter Pracht gewesen war.
    Jetzt erinnerte er eher an ein Flüchtlingslager. Auf chaotische Art und Weise hatten sich die Bewohner der Kirche eingerichtet. In mehreren Nischen lagen Kissen und Wolldecken auf provisorischen Schlaflagern. Grob zusammengenagelte Bretterwände boten einen Hauch von Privatsphäre. Auf Tischen und in Holzregalen lagen Kochutensilien und Werkzeuge, an einer Leine, die zwischen zwei Statuen gespannt worden war, hing Wäsche zum Trocknen. Im hinteren Bereich der Kirche, den Jonan vom Eingang aus nicht sehen konnte, da er von einem hohen Altar verdeckt wurde, glaubte er sogar das Gackern von Hühnern zu vernehmen.
    Das Seltsamste an diesem geheimen Ort der Zuflucht hingegen waren seine Bewohner selbst. »Kinder?«, staunte Jonan. Er wandte sich an ihren Gastgeber, der soeben die Tür der Kirche zuzog und beinahe beiläufig einen Riegel vorlegte, den Jonan ohne seine Templerrüstung kaum vom Boden hätte hochheben können. »Hier leben Kinder?«
    »Warum nicht?«, fragte sein Gegenüber zurück. »Irgendwo müssen sie ja auch leben. Allein auf den Straßen ergeht es ihnen meist schlecht. In der Gemeinschaft haben sie eine Chance. Hast du ein Problem damit?«
    »Nein, keineswegs. Ich habe nur mit etwas ganz anderem gerechnet«, gestand Jonan.
    Der Mann in der Rüstung lachte blechern. »Eine Räuberhöhle, ich verstehe. Nein, da seid ihr hier falsch.«
    »Offensichtlich …« Jonan ließ seinen Blick über die Kinder schweifen. Es mussten mehr als zwei Dutzend sein. Das jüngste mochte fünf oder sechs Jahre alt sein, den ältesten Jungen schätzte Jonan auf vierzehn oder fünfzehn. Schmutz bedeckte ihre Hände und Gesichter, und ihre Kleidung bestand aus einem bunten Sammelsurium. Dennoch wirkten sie weder krank noch gefährlich unterernährt. Irgendwie schien es ihnen zu gelingen, selbst an einem Ort wie diesem zurechtzukommen.
    Unterdessen reichte ihr Gastgeber sein Maschinengewehr einem kräftigen Jungen, der es in einen Ständer neben der Tür stellte. Dann hob er die behandschuhten Hände und nahm den Helm ab. Darunter kam das Gesicht eines dunkelhäutigen Mannes zum Vorschein, das Jonan ziemlich vertraut vorkam.
    »He!«, rief auch Pitlit erstaunt aus. »Sie sind der Bruder von Géant!«
    »Richtig«, antwortete der Mann und gab auch seinen Helm einem seiner zahlreichen kleinen Helfer. »Mein Name ist Bonasse. Und das hier ist übrigens euer Invalidendom.« Er vollführte eine Geste, die den ganzen Raum einschloss. »Ein passender Ort für einen Mann, der nur ein Bein hat, findet ihr nicht?« Mit einem sarkastischen Lachen marschierte er zu einer großen, hölzernen Bank hinüber und setzte sich.
    Jetzt erst fiel Jonan auf, dass seine Bewegungen ein klein wenig ungelenk waren. Also diente das Exoskelett mehr als nur seinem Schutz und der Abschreckung von Plünderern. Es ermöglichte ihm auch, seine Verkrüppelung zu verbergen. Für jemanden, der an einem so gefährlichen Ort wohnte, war das überlebenswichtig. Man durfte den Schakalen nie zeigen, dass man verwundet war. Sonst kamen sie im Rudel und fielen über einen her.
    »Kommt«, forderte Bonasse sie auf. »Setzt euch zu mir und lasst uns etwas trinken. Dabei können wir reden.«
    Jonan und Pitlit gesellten sich zu ihm, während die anwesenden Kinder sich wieder im Raum verteilten. Sie gaben vor, mit Alltäglichem beschäftigt zu sein. Doch Jonan bemerkte die verstohlenen Blicke, die sie ihm und seinem jungen Begleiter immer wieder zuwarfen.
    Bonasse bat ein junges Mädchen, ihnen einen Krug Wein mit Wasser und drei Becher zu bringen. Jonan hatte keine Weinberge bemerkt, als sie auf Paris zugewandert waren. Er hakte aber nicht nach, wo ein Mann, der inmitten einer Trümmerzone lebte, ein so edles Getränk herhatte.
    Ihr Gastgeber schenkte ihnen ein und hob sein Glas. »Auf eine unerwartete Begegnung.«
    »Die hoffentlich Früchte tragen wird«, fügte Jonan hinzu.
    »Für uns alle«, beendete Bonasse den Trinkspruch mit vielsagendem Blick.
    Sie tranken und genossen einen Moment schweigend den Geschmack des Weins, dessen Süße auch durch das Wasser nicht

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