Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
direkt am Kraterrand. Es ist nicht sehr weit von hier.«
»Was ist das für ein Krater?«, fragte Pitlit wissbegierig. »Ist da während des Sternenfalls ein Stern vom Himmel gestürzt?«
Bonasse warf ihnen einen Blick zu, den Jonan nicht deuten konnte. »Ihr habt ihn noch nicht gesehen?«
Jonan schüttelte verwirrt den Kopf. »Wir sind von Südwesten gekommen, und uns ist kein Krater aufgefallen. «
»Méline«, rief Bonasse ein schlaksiges, dunkelhaariges Mädchen zu sich. »Bring unsere beiden Gäste bitte aufs Dach und zeig ihnen den Krater. Diese › Sehenswürdigkeit ‹ soll ihnen nicht vorenthalten bleiben.«
Das Mädchen, das vielleicht sieben Jahre alt sein mochte, beäugte Jonan und Pitlit scheu. Dann nickte es, drehte sich um und lief los.
»Alle Worte würden hier versagen«, erklärte Géants Bruder. »Ihr müsst es mit eigenen Augen sehen.«
Jonan und Pitlit erhoben sich und folgten dem Mädchen quer durch die Kirche bis zu einem Holzgerüst, das an der Wand der Kirche nach oben führte. Unter der kuppelförmigen Decke verlief ein Rund aus hohen Fenstern. Einige von ihnen waren gesplittert und daraufhin mit Holzbrettern vernagelt worden, damit es nicht in den Raum regnete. Durch andere konnte man über die Trümmer von Paris hinwegschauen. Eins der Fenster war nur durch einen schweren Vorhang gesichert, der sich lösen ließ, woraufhin sie hindurchklettern und aufs Dach gelangen konnten. Es handelte sich um ein Flachdach aus zahlreichen hellen Steinrippen, das von einem hüfthohen Steingeländer eingefasst wurde und in dessen Mitte sich der Domkuppelaufbau wie eine gigantische Laterne erhob.
Ein etwa zehnjähriger Junge empfing sie dort, der über die Balustrade hinab auf die Trümmerlandschaft starrte. Wahrscheinlich diente er als Ausguck, um vor nahenden Gefahren zu warnen. »Was macht ihr denn hier?«, fragte er unwirsch. Offenbar nahm er seine Aufgabe sehr ernst und wollte niemanden »auf seinem Dach« haben, wenn er Dienst schob.
»Wir sind auf dem Weg nach oben, damit sie den Krater sehen können«, erklärte Méline. »Reg dich nicht auf.«
Der Junge brummte nur und richtete den Blick wieder über das Geländer.
An der einen Seite des Kuppelaufbaus befand sich ein weiteres Holzgerüst, das bis hinauf zum halbkugelförmig gewölbten Dach führte. Von dort ging es über eine Strickleiter weiter bis zur Spitze, die die Form eines kleinen Pavillons aufwies. Jonan kam nicht umhin, zu bewundern, wie behände Méline in dieser schwindelerregenden Höhe umherkletterte.
Das Mädchen schwang ein Bein über das Geländer des Pavillons, und als Jonan und Pitlit sich zu ihr gesellt hatten, streckte Méline einen dünnen Arm aus. »Seht dort«, sagte sie.
Jonan richtete den Blick nach Nordosten. Licht Gottes , durchfuhr es ihn. Er hatte bereits die Auswirkungen des Sternenfalls und der Dunklen Jahre zu Gesicht bekommen, aber niemals in einer derart machtvollen Demonstration vollkommener Vernichtungskraft. Jenseits des Invalidendoms erstreckte sich die Trümmerlandschaft noch etwa einen halben Kilometer. Dann folgte das braune Band des Flusses, der Paris in einem weiten Bogen von Osten nach Westen teilte. Auf der anderen Uferseite lagen noch eine Handvoll halb zerfallener Straßenzüge. Danach war da nichts mehr. Irgendetwas hatte einfach die Landschaft vollkommen zerschmettert und verbrannt. Kein Stein war auf dem anderen geblieben, nicht einmal ein einziger Metallmast einer Straßenlaterne ragte auf.
Vom nördlichen Paris war nichts übrig geblieben als ein mehrere Kilometer durchmessendes Loch in der Landschaft.
Kapitel 21
E s dauerte lange, bis Carya in dieser Nacht Schlaf fand. Zum einen war sie ein dermaßen bequemes Bett schon gar nicht mehr gewöhnt, und irgendwie schien ihr die Matratze viel zu weich. Außerdem wirbelten in ihrem Kopf noch die Eindrücke der letzten Stunden umher, sodass sie das Gefühl hatte, als säße sie in einem sich ewig weiterdrehenden Karussell. Was hatte es mit Cartagena und dieser seltsamen Erdenwacht auf sich? Und irrte sie sich, oder hatte Prinz Alexandre auf dem Korridor vorhin mit ihr geflirtet?
Vor allem jedoch hielt Carya die Sorge wach, denn mit der Stille und Dunkelheit, die in ihrem Zimmer herrschten, nachdem sie zu Bett gegangen war, kamen die Gedanken an Jonan und Pitlit zurück. Sie betete, dass es den beiden gut ging und dass sie drei bald wieder zusammen sein würden.
Zu ihrer Verwunderung kam auch das Schloss um sie herum nicht zur Ruhe. Bis
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